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Pressemitteilung | Montag, 8. März 2004

Stellungnahme des Präsidiums der Leopoldina zur Novellierung des Gentechnikgesetzes

Die Bundesregierung legte kürzlich einen Entwurf zur Novellierung des Gentechnikgesetzes vor, der u.a. die überfällige Umsetzung der bereits am 12. März 2001 erlassenen Richtlinie 2001/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates in nationales Recht vorsieht.

Mit dieser Novelle sollen rechtliche Rahmenbedingungen für die in der Richtlinie ausgeführte "absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen (GVO) in die Umwelt" geschaffen werden. Daraus ergeben sich weitreichende Konsequenzen für die zukünftige Entwicklung der sogenannten Grünen Gentechnik in Deutschland sowohl für die Forschung als auch die wirtschaftliche Verwertung. Der vorliegende Gesetzesentwurf setzt sehr hohe Hürden für den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen, die sich nicht nur auf die sicherheitsrelevanten Aspekte der Richtlinie 2001/18/EG beschränken, sondern darüber hinausgehende Anforderungen beinhalten, die den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in Frage stellen.

Kern der Richtlinie 2001/18/EG ist die Aufforderung an die Mitgliedstaaten sicherzustellen, daß "mögliche schädliche Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt, die unmittelbar oder mittelbar durch den Gentransfer von GVO auf andere Organismen auftreten können, sorgfältig geprüft werden." In §1, Nr. 1 der Gesetzesvorlage wird dagegen ausgeführt: "Zweck des Gesetzes ist, unter Berücksichtigung ethischer Werte, Leben und Gesundheit von Menschen, die Umwelt in ihrem Wirkungsgefüge, Tiere, Pflanzen und Sachgüter vor schädlichen Auswirkungen gentechnischer Verfahren und Produkte zu schützen und Vorsorge gegen das Entstehen solcher Gefahren zu treffen." Hier ist nicht mehr von möglichen, potentiellen oder etwaigen Risiken die Rede, sondern es wird eine Gefährlichkeitsprämisse zugrunde gelegt, die durch jahrelange, weltweite Anbau- und Nutzungserfahrungen mit GVO in keiner Weise gestützt wird und daher wissenschaftlich unredlich ist. 

Der Gesetzentwurf nimmt die Richtlinie 2001/18/EG zum Anlaß, eine Koexistenz von konventionellen, ökologischen und gentechnisch veränderten Anbauformen in der Landwirtschaft zu fordern und die Inverkehrbringung der damit erzeugten Produkte zu gewährleisten (§1, Nr. 2). Dieser Ansatz ist im Prinzip zu begrüßen. Tatsächlich lassen jedoch die nachfolgenden Vorschriften jene Gleichbehandlung der Anbauformen vermissen. Hier wird lediglich auf drei gravierende Punkte verwiesen. An den Anbau von GVO im Freiland und die Nutzung daraus gewonnener Produkte wird ein Übermaß bürokratischer Auflagen geknüpft (s. §16). Es werden einseitige, im Umfang erweiterte und zumindest im Forschungsbereich kaum zu erfüllende Haftungsvorschriften erlassen (s. §32). Das Genehmigungsverfahren sieht die Beteiligung zahlreicher Instanzen vor, u.a. die Mitwirkung mehrerer Landes- und Bundesbehörden, z. B das Einvernehmen des Bundesamtes für Naturschutz (s. §16, Absatz 4). Die bewährte und effiziente Arbeitsweise der Experten in der Zentralen Kommission für die Biologische Sicherheit (ZKBS) wird durch Gründung zweier Ausschüsse, einen für gentechnische Arbeiten in gentechnischen Anlagen und einen zweiten für Freisetzungen und Inverkehrbringen, aufgegeben (s. §5). Diese neue Arbeitsteilung setzt voraus, daß zukünftig die Antragsteller ihre Forschungsprojekte thematisch nach den zuständigen Gremien ausrichten müssen. Der zweite Ausschuß ist dadurch gekennzeichnet, daß die Hälfte seiner Mitglieder zwar "sachkundige Personen" sein sollen, aber keine genetischen Fachkenntnisse vorweisen müssen. Diese Konstellationen lassen erwarten, daß das Genehmigungsverfahren zukünftig von sachfremden Kriterien beeinflußt und nicht erleichtert, sondern erschwert und zeitlich verzögert wird. Alles in allem stellt der Gesetzesentwurf kein Vorbild für die allseits geforderten Erleichterungen dar.

Durch die vorgesehenen neuen gesetzlichen Regelungen werden die deutsche Wissenschaft und der Wissenstransfer in den Anwendungsbereich der (Land)Wirtschaft gleichermaßen nachteilig betroffen. Notwendige Forschungen in der Grünen Gentechnik, die man in allen Industriestaaten der Welt mit großem intellektuellen und finanziellen Einsatz durchführt, werden behindert oder verhindert. Die Chancen, die diese Forschungsrichtung bietet, z.B. die Reduzierung des Eintrages von toxischen Wirkstoffen in das Ökosystem oder die Effizienzsteigerung in der landwirtschaftlichen Produktion, werden nicht tatkräftig aufgegriffen, sondern vertan, indem die Fortschritte blockiert werden.

Die Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina mit ihrem nationalen und internationalen Ansehen kann angesichts ihres jahrhundertealten Leitspruchs "Die Natur erforschen zum Wohle der Menschen" solche forschungs-, erkenntnis- und verwertungshindernden Verordnungen nur bedauern. Die vorgelegte Fassung des Gentechnikgesetzes entspricht keineswegs den Leitlinien "Innovation" der Bundesregierung vom Januar dieses Jahres. Sie beschneidet die nationalen Chancen einer Technologie mit einem hohen Innovationspotential, die von mehr als sieben Millionen Landwirten in etwa 20 Ländern bereits genutzt wird.

Um die ersichtlich werdenden Nachteile für Deutschlands Wissenschaft und (Land)Wirtschaft abzuwenden, ist es aus der Sicht der Leopoldina essentiell, in den Gesetzesentwurf der Bundesregierung die auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse beruhenden Vorstellungen der Experten zu integrieren und diesen entsprechend zu korrigieren. Was mit den Regularien für die medizinisch so erfolgreich angewendete Rote Gentechnik möglich ist, sollte auch für die nicht minder wichtige Grüne Gentechnik möglich werden. 

Gez. Prof. Dr. Volker ter Meulen
(Präsident der Leopoldina)

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