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Nova Acta Leopoldina Band 110 Nummer 377

timierungstechniken werden lediglich für die Optimierung von einfach formulierbaren Teil- aspekten der zielfunktion, wie z. B. Chipfläche, Leistungsaufnahme, Signalverzögerungszeit oder quantitative Maße für die Testbarkeit angewendet. Allerdings ist es auch nicht wichtig, für die zielfunktion oder ihre Beiträge exakte oder fast exakte Optima zu erzielen. In der Regel reicht ein wesentlicher Fortschritt gegenüber dem Konkurrenten, um das Produkt am Markt zu etablieren. Auch die Natur optimiert, und zwar auf verschiedenen Raum- und zeitskalen. zum einen sind molekulare Strukturen und Bindungsvorgänge physikalischen Gesetzen unterworfen, die auf ein Optimierungsproblem führen, das in der Regel auf molekularer Ebene in kurzer zeit gelöst wird. So wird die dreidimensionale Struktur eines Proteins, die sich für die überwiegende Mehrzahl der in der belebten Natur vorkommenden Proteine eindeutig aus der Proteinkette ergibt, nach der Kostenfunktion der freien Energie eines molekularen Ensembles aus Protein- molekülen und Wasser optimiert. Die optimale Proteinstruktur ist die mit minimaler freier Energie, und sie wird in Millisekunden bis Minuten gebildet. Die Kostenfunktion der freien Energie ist, wenn auch im Prinzip mathematisch erschlossen, so doch bis heute nicht ausrei- chend genau zu berechnen. Wie aus den Erkenntnissen der statistischen Mechanik hervorgeht, gibt sich die Natur hier nicht mit fast optimalen Lösungen zufrieden. Bei der Energiemini- mierung zur Bestimmung der dreidimensionalen Struktur eines Proteins wird das exakte Op- timum mit überwältigend großer Wahrscheinlichkeit realisiert. In der Regel existieren völlig unterschiedliche Proteinstrukturen mit sehr ähnlichen fast optimalen Energien, von denen je- doch nur die optimale Struktur biologisch relevant ist. Auf ganz anderen zeit- und zum Teil auch Raumskalen werden Organismen durch die Evolution schrittweise immer wieder und immer besser an eine komplexe und sich ständig verändernde Umwelt angepasst. Die Optimierung übernimmt hier der Prozess der Selektion: Die angepassteren Organismen überleben besser und produzieren mehr Nachkommen. Die Optimierungsfunktion ist hier die „Fitness“ – eine ausgesprochen schwer zu erschließende Funktion, da sie durch die gesamte komplexe und nicht kompakt beschreibbare Umwelt defi- niert wird. Beide der hier beschriebenen Optimierungsprobleme, die bei evolutiven Entwürfen anfallen, sind ungleich schwerer zu lösen als solche bei rationalen Entwürfen. Die meisten solcher Optimierungsprobleme sind bis heute „Grand Challenges“. Diese gravierenden Unterschiede zwischen rationalem und evolutivem Entwurf führen dazu, dass die Entwürfe selbst sich auch deutlich voneinander unterscheiden. Rationale Ent- würfe sind durch klar gegliederte Hierarchien mit hoher Duplikationsrate von wenigen Basis- bausteinen, durch modularen Aufbau und klare Funktionstrennung zwischen den Entwurfs- komponenten charakterisiert. Evolutive Entwürfe dagegen sind vielschichtig und nicht so klar gegliedert wie rationale Entwürfe (siehe die vielen Querbezüge in Abb. 1B). Ein evolutiver Entwurf zeichnet sich durch Wiederverwendung und Umdeutung von Komponenten aus, er ist nicht „aufgeräumt“ in dem Sinne, in dem es ein rationaler Entwurf ist. Als Beispiel seien hier die oft vielfältigen Funktionen ein und desselben molekularen Bausteins in der Biologie genannt. So ist z. B. Adenin ein Bestandteil zum einen von DNA und RNA und zum anderen von ATP, der Energiewährung in der zelle. Darüber hinaus hat es als Bestandteil von Adenosin wichtige neuronale Funktionen. Desgleichen ist Glutamat als Aminosäure sowohl ein Baustein von Proteinen, als auch ein wichtiger Neurotransmitter. Schließlich gibt es viele Proteine, die mehrfache Funktionen besitzen, ein Phänomen, das in der Biologie als Moonlighting bezeich- net wird. Wie funktioniert das Leben? Nova Acta Leopoldina NF 110, Nr. 377, 11–44 (2011) 15