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Nova Acta Leopoldina Band 110 Nummer 377

– eine empirisch bestätigte Quantifizierung eines Sachverhaltes erlaubt präzise Vorhersagen; und – das mathematische Modell zeigt die Beschränkungen der Vorhersagbarkeit auf, wenn solche aus prinzipiellen Gründen gegeben sind. Die ersten beiden Beiträge zusammengenommen – Interpretationsfreiheit und Vorhersagbar- keit – ermöglichten und ermöglichen die mannigfaltigen, spektakulären Anwendungen der Naturwissenschaft in den verschiedenen technischen Disziplinen. Es war der Physik des 20. Jahrhunderts vorbehalten, natürliche Beschränkungen der Vorhersagbarkeit aufzuzeigen: Die Quantenmechanik erbrachte den Beweis, dass der Präzision der Beobachtungen grund- sätzliche Grenzen gesetzt sind, und die komplexe Dynamik mancher natürlicher Systeme führt zu so großen Empfindlichkeiten gegenüber Anfangsbedingungen und unkontrollierbaren Schwankungen, dass genaue oder einigermaßen verlässliche Vorhersagen nur für eine be- schränkte zeit möglich sind. In der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts erfuhr die auf den beiden Säulen Theorie und Experiment ruhende Naturbeschreibung eine Ergänzung durch die Entwicklung der elek- tronischen Rechenanlagen. Neben mathematischer Modellierung und Modellanalyse etablierte sich die Computersimulation als ein neues, mittlerweile unentbehrliches Verfahren zur Auf- klärung komplexer Sachverhalte. Man kann davon sprechen, dass die Naturwissenschaft ein drittes Standbein erhalten hat (Abschnitt 4.). 2.   Mathematik und Computerrechnen in der Biologie Seit dem Beginn der Neuzeit entwickelten sich Mathematik und Physik, wie gesagt, gemein- sam und unter gegenseitiger Befruchtung. Ein stimulierendes Verhältnis zwischen Mathematik und Biologie im Allgemeinen, oder eines zwischen Mathematik und Evolutionsbiologie, gab es hingegen bis zur zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht. Dabei hat es durchaus einige interessante Versuche von Mathematikern gegeben, biologische Fragestellungen zu analysie- ren, aber diese wurden von den Hauptrichtungen in der Biologie ignoriert oder belächelt. Ei- nige ausgewählte Beispiele werden im nächsten Abschnitt beschrieben. Insbesondere fanden die Arbeiten Gregor MENDELS über die statistisch-mathematische Analyse der Daten zur Ver- erbung von Merkmalen lange zeit keine Beachtung durch Evolutionsbiologen, obwohl diese einen Mechanismus der Vererbung dringend gebraucht hätten. Die Anfänge der Biostatistik – manchmal auch Biometrik genannt – datieren erst um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Man darf in diesem zusammenhang nicht vergessen, dass die Disziplin der mathematischen Statistik auch nicht älter ist (Abschnitt 3.3). DARWINS natürliche Auslese wurde mit den Men- delschen Vererbungsregeln durch die Begründer der Populationsgenetik, Ronald FISHER, John Burdon Sanderson HALDANE und Sewall WRIGHT, in einem mathematischen Modell zusam- mengeführt. Trotzdem diese erfolgreiche Vereinigung schon 1930 gelang, ließ die Fertigstel- lung der „Synthetischen Theorie der Evolution“ noch zwanzig Jahre auf sich warten. Bemerkenswert ist auch, dass die großen Werke der Biologie, z. B. Charles DARWINS Origin of Species (DARWIN 1859) und Ernst MAyRS Growth of Biological Thought (MAyR 1982), keine einzige mathematische Formel enthalten. Die Entwicklung einer breiter angelegten theoretischen Biologie, welche über die Popu- lationsgenetik hinausgeht, begann erst nach dem zweiten Weltkrieg. Als einen Anfang kann Nova Acta Leopoldina NF 110, Nr. 377, 167–211 (2011) Peter Schuster 170