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Nova Acta Leopoldina Band 110 Nummer 377

Die Anwendung der von SANGER (SANGER et al. 1977) und GILBERT (MAXAM und GILBERT 1977) entwickelten Techniken für die DNA-Sequenzierung führte zu einer Revolution in der moleku- laren Genetik und hatte entscheidenden Einfluss auf die Evolutionsbiologie: DNA-Sequenzen konnten rasch und kostengünstig bestimmt werden, ganze Genome wurden zugänglich, und die Rekonstruktion genetischer Stammbäume aus den Sequenzdaten heute lebender Organismen wurde auf eine neue und solide Basis gestellt. Gleichzeitig waren die Computerwissenschaftler vor die Herausforderung gestellt, ungeheure Datenmengen in Sequenzvergleichen rasch und verlässlich zu verarbeiten. Die ersten Algorithmen basierten auf dynamischer Programmierung (SMITH und WATERMAN 1981 sowie NEEDLEMAN und WUNSCH 1970) und sind in ihrem Ablauf gut zu verstehen. Sie waren aber sehr bald nicht mehr ausreichend und wurden von immer schnelleren und trickreicheren Verfahren abgelöst (MOUNT 2004). Ein neues Fach, die Bioin- formatik, war entstanden. Die rasante zunahme des in den Datenbanken zur Verfügung stehen- den Sequenzmaterials hat sich bis heute fortgesetzt, und es ist kein Ende abzusehen. Neue, noch effizienter und preisgünstiger arbeitende Techniken der DNA-Sequenzanalyse wurden entwi- ckelt, und die zahl der vollständig sequenzierten Genome steigt weiterhin dramatisch an. Auf die Entschlüsselung der Genome folgte die Aufklärung der Gesamtheit aller Proteine, die Entschlüsselung des Proteoms (PHIzICKy et al. 2003, NEET und LEE 2002 und yARMUSH und JAyARAMAN 2002). Die Funktionen der Gene und Proteine im Gesamtkontext einer zelle oder eines Organismus können nur durch Analyse der Prozesse verständlich gemacht werden. Die zahlen der molekularen Player in zellen erreichen in den einfachsten Fällen viele Tausende. Es ist die Notwendigkeit entstanden, die Dynamik von genetischen und metabolischen Netzwerken mit vielen Tausend Knoten und noch mehr Wechselwirkungen zu analysieren. Hinzu kommen noch die überaus komplexen und verschachtelten Netzwerke der zellkommunikation durch mo- lekulare Signale. Eine Modellierung derartiger, wahrhaft monströser dynamischer Gebilde ist – wenn überhaupt – nur mit Hilfe von Computersimulation möglich. Das neue Gebiet der theore- tischen Systembiologie widmet sich mit großem Enthusiasmus dieser Aufgabe, an deren Ende der simulierte menschliche Organismus steht. Sollte diesem Vorhaben ein echter Erfolg beschie- den sein, so sind seine medizinischen Anwendungsmöglichkeiten gewaltig. 3.   Einige für die Evolutionsbiologie wichtige Beispiele In diesem Abschnitt sollen einige historische Anwendungen der Mathematik in der Biologie Erwähnung finden, welche wesentliche Beiträge zur Basis der heutigen theoretischen Evolu- tionsbiologie geleistete haben. Um die logischen zusammenhänge der einzelnen Beispiele besser herausarbeiten zu können, wird auf die genaue historische Reihenfolge verzichtet. 3.1 Leonardo Da Pisa und Hasenzählen Das erste Beispiel ist im Mittelalter angesiedelt. Leonardo DA PISA – auch FIBONACCI, Filius Bonacci, genannt – behandelt in seinem Buch Liber Abbaci, mit dem er das von den Arabern übermittelte dekadische zahlensystem der Inder nach Europa brachte, unter anderem ein zah- lenbeispiel für Wachstum (siehe z. B. DUNLAP 1997, S. 35–49). Eine Reihe von zahlen entsteht dadurch, dass jedes Element durch Summieren der beiden vorangehenden zahlen gebildet wird: Fn = Fn–1 + Fn–2, n = 2, 3, ..., F0 = 0, F1 = 1. [1] Nova Acta Leopoldina NF 110, Nr. 377, 167–211 (2011) Peter Schuster 172