Please activate JavaScript!
Please install Adobe Flash Player, click here for download

Nova Acta Leopoldina Band 110 Nummer 377

Sequenzen auf eine Struktur abgebildet werden. Im besonderen Fall der RNA-Sekundärstruk- turen kann die Sequenz-Strukturabbildung untersucht werden (Abb. 7; SCHUSTER et al. 1994, SCHUSTER 2006). Die Menge der Sequenzen, welche ein und dieselbe S(ekundärs)truktur aus- bilden, wird das neutrale Netzwerk der Struktur genannt, es stellt das Urbild einer Struktur im Raum der Sequenzen dar und entspricht formal einer (nicht eindeutigen) Umkehrung der Abbildung Ψ: Gk = Ψ(Sk) ÷ {Xi |Ψ(Xi) = Sk}. [18] Neutrale Netzwerke sind jene Unterräume der Räume der Genotypen, in welchen die neutrale Evolution stattfindet (Abschnitt 5.2.3). Ein weiteres Charakteristikum realistischer Fitnesslandschaften ist ihre Zerklüftetheit – Ruggedness: Im Sinne des Hammingabstandes oder einer Mutationsdistanz nahe beisammen liegende Sequenzen können sehr unterschiedliche oder ähnliche Fitness aufweisen und auch neutral sein. Verändert beispielsweise der Austausch einer einzigen Aminosäure das aktive zentrum eines katalytisch wirksamen Enzyms, dann kann die Mutation letal sein, führt aber die Mutation zu einem synonymen Codon, dann wird sich kein bemerkbarer Effekt einstel- len. Von gezielten Veränderungen an Proteinsequenzen ist bekannt, dass aufeinander fol- gende Mutationen nicht additiv sind. Es gibt verschiedentlich kompensatorische Mutationen, das sind Mutationen, welche den negativen Effekt einer vorangegangenen Mutation wett- machen, ohne den ursprünglichen Genotyp wieder herzustellen. Besonders einfach sind kompensatorische Mutationen an den Nukleotidpaaren in einer Doppelhelix zu verstehen: Mutieren wir beispielweise im Watson-Crick-Paar A=U das U, U → C, für A · · C ist keine Paarung in der Doppelhelix möglich, und die Helix wird destabilisiert. Eine weitere Mutation A → G kompensiert den, die Doppelhelix destabilisierenden, Effekt, da ein anderes Wat- son-Crick-Paar, G≡C, gebildet wird. Ein reales Beispiel aus der Virologie betrifft die RNA des Hepatitisdelta-Virus (HDV; KUMAR et al. 1993). Kompensationseffekte werden bei Pro- teinstrukturen (WILSON et al. 1992), bei Proteinfaltung (NISHIMURA et al. 2005) und bei Wechselwirkungen zwischen Proteinen (JUCOVIC und HARTLEy 1996, MARTIN et al. 1999) beobachtet und analysiert. Kompensatorische Mutationen sind ein Grund für zerklüftete Landschaften, da die Fitness in der Folge der Mutationen hinunter und hinaufgeht. Eine wei- tere Ursache für Ruggedness resultiert aus der Nicht-Lokalität der Wechselwirkungen, wel- che für die Ausbildung der Strukturen von Biomolekülen maßgeblich sind. Eine einzige Punkmutation kann daher zu einer radikalen änderung der molekularen Struktur Anlass geben. Nahezu alle häufig verwendeten einfachen Modelle für Fitnesslandschaften sind glatt und daher kritisch zu betrachten. Dies gilt insbesondere für die in der Populationsgenetik häufig verwendeten additiven und multiplikativen Fitnesslandschaften (Abb. 8), bei denen angenommen wird, dass jede Mutation die vom selektierten Genotyp wegführt eine (addi- tive) konstante Verringerung der Fitness oder eine Multiplikation mit einem Faktor kleiner eins bewirkt. Auch Single-Peak-Fitnesslandschaften sind weit von der Realität entfernt. Die gewaltigen Steigerungen in der Computerleistung und in den Speichermöglichkeiten machen es heute möglich, in gewissem Ausmaß auch realistische, zerklüftete Landschaften zu un- tersuchen und mit empirischen Landschaften zu vergleichen (SCHUSTER 2010b). Ausgangs- punkt für ein weitgehend realistisches Modell ist eine Single-Peak-Landschaft, welcher zufällig gewählte Fitnessbeiträge mit einer vorzugebenden Bandbreite d überlagert werden (Abb. 8). Nova Acta Leopoldina NF 110, Nr. 377, 167–211 (2011) Peter Schuster 196