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Nova Acta Leopoldina Band 110 Nummer 377

– Die in der Population dominierende Struktur20 ist konstant, nur die Sequenzen variieren, und es findet neutrale Evolution im Sinne KIMURAS statt (HUyNEN et al. 1996). Der Prozess entspricht einem Irrflug auf dem neutralen Netzwerk der Struktur. Die zahl der auf einem Plateau durchlaufenen neutralen Mutanten ist in sehr guter Näherung proportional zur zahl der stattgefundenen Replikationen. – Der Prozess auf einem Plateau involviert mehrere nahe verwandte Strukturen mit identi- scher Fitness und entspricht einem Irrflug im Raum dieser neutralen Strukturen. Beide Prozesse, Irrflug auf dem neutralen Netzwerk oder Irrflug im Raum der Strukturen, werden solange fortgesetzt, bis sich in der unmittelbaren Umgebung eine Sequenz höherer Fitness findet, ein Genotyp, mit welchem der Optimierungsprozess in Richtung auf das ziel fort- gesetzt werden kann. Diese Interpretation des Evolutionsvorganges wird stark unterstützt durch das Verhalten der Population während der quasistationären Perioden (Abb. 9): Die Ausdehnung der Population im Sequenzraum ist am Beginn eines Plateaus gering und nimmt bis zum Plateauende laufend zu, und die Population kollabiert dann in ganz kurzer zeit. Der Populationsschwerpunkt bleibt während der quasistationären Epoche konstant und springt am Plateauende in eine neue Position. Mit anderen Worten heißt dies: Auf dem Plateau dehnt sich die Population in einer Art Suchprozess nach allen Richtungen aus, und, nachdem ein Punkt im Sequenzraum gefunden wurde, an welchem eine erfolgreiche Fortsetzung der evolutionären Optimierung möglich ist, schiftet die gesamte Population dorthin und setzt die Optimierung fort. Dementsprechend fallen am Plateauende drei Er- eignisse zusammen: eine kollapsartige Verringerung der Breite der Population, eine sprung- artige Verschiebung des Populationsschwerpunkts und der Beginn einer neuen adaptiven Phase. Es lohnt zu erwähnen, dass die Langzeitevolution einer Population von Escherichia coli-Bak- terien (LENSKI et al. 1991) durch das Irrflugmodell auf neutralen Netzwerken interpretiert wer- den kann. Stufen auf der phänotypischen Ebene des Evolutionsprozesses wurden schon in einer frühen Phase des Jahrzehnte dauernden Experiments beobachtet (ELENA et al. 1996), wogegen die genotypischen Mutationen mit kontinuierlich verlaufen (PAPADOPOULOS et al. 1999). Nach 31500 Generationen oder zwanzig Jahren wurde eine folgenschwere Innovation in einem (einzigen) der zwölf verschiedenen Anfangskolonien beobachtet (BLOUNT et al. 2008): Diese Kolonie entwickelte eine Art Kanal für die Aufnahme von zitrat aus dem Nähr- medium – zitrat wird als Puffersubstanz verwendet und kann normalerweise von E. coli nicht aufgenommen werden – und erschloss dadurch eine neue Nahrungsquelle, was zu viel stärke- rem Wachstum führte. Die Mutation in Richtung zitrataufnahme wurde reproduziert. Frühere Isolate aus eben dieser Kolonie entwickelten früher oder später auch den vorteilhaften zitrat- kanal, aber keine der anderen elf Kolonien war dazu in der Lage. Dieses Experiment demons- Mit Mathematik und Computer auf Entdeckungsreisen in der Evolutionsbiologie Nova Acta Leopoldina NF 110, Nr. 377, 167–211 (2011) 201 lektion bewegt sich die Population in ganz wenigen Generationen dorthin, wo eine Sequenz höherer Fitness gefunden wurde. (Die Spitze der Verschiebung des Schwerpunktes beim vorletzten Sprung am rechten Rand des Bildes ist zur besseren Erkennbarkeit mit einem Pfeil gekennzeichnet.) Bei dem vorliegenden Computerexperiment wurde eine Mutationsrate von p = 0,001 gewählt. (Weitere Details finden sich in SCHUSTER 2006.) 20 Dominierend bezieht sich hier auf das Auftreten der Struktur in einer Folge von Strukturen, welche von der An- fangsstruktur zur zielstruktur führen und Relay-Serie genannt wurde. (Für Einzelheiten siehe FONTANA und SCHUSTER 1998.)