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Nova Acta Leopoldina Band 110 Nummer 377

Areale im Gehirn mögen notwendig sein, um bestimmte Funktionen zu generieren, aber sie müssen hierfür nicht alleine verantwortlich sein; es fehlt der hinreichende Grund für diese An- nahme. Dass dieses Problem von besonderer Brisanz ist, ergibt sich zusätzlich aus der Tatsache, dass neuronale Strukturen auf anstrengungslose Informationsverarbeitung konditioniert sind. Das meiste des psychischen Geschehens wird anstrengungslos vollzogen, was bedeutet, dass Gehirne ökonomisch arbeiten, also mit minimalem Aufwand ein Optimum an Leistung zu er- bringen suchen. Gerade diese Beobachtung wird durch die modernen Studien der Neuro-öko- nomie belegt (PöPPEL 2010). Dieser Sachverhalt hat aber bei dem genannten Subtraktions- verfahren die Konsequenz, dass Wichtiges, was anstrengungslos vollzogen wird, durch die Methode beseitigt wird. Und dies alles geschieht, weil man auf der Suche nach dem besonde- ren Ort ist, der für eine Erklärung benötigt wird. Die Ortsanfälligkeit des Denkens führt also zu möglichen Artefakten in der Erklärung psychischer Prozesse. Andererseits muss aber auch betont werden, dass es diese Ortszuweisungen in der Tat gibt, aber auf einer sehr viel einfacheren Ebene, bei weniger komplexen Funktionen. Wenn man sich fragt, wie eigentlich die visuelle Welt um uns in unserem Gehirn repräsentiert ist, dann weiß man seit langem, dass dies topographisch korrekt, oder besser topologisch wohlgeordnet, geschieht (NAUTA und FEIRTAG 1986). Man spricht in diesem Fall von „Retinotopie“. Das be- deutet, dass die Koordinaten der visuellen Welt, wie sie sich nach geometrischen Prinzipien auf der Netzhaut des Auges, der Retina, abbilden, bei der Repräsentation des Gesichtsfeldes in der Großhirnrinde, dem Neocortex, erhalten bleiben. Man muss aber hinzufügen, dass bei der weiteren Verarbeitung der visuellen Information die Retinotopie verloren geht und die neuronalen Prozesse vom Ort des Geschehens abstrahieren (PöPPEL 1997). Die topologischen Abbildungen gelten mit Ausnahme des Riechsystems, das anderen anatomischen Prinzipien gehorcht, auch für die anderen sensorischen Systeme und für das motorische System; die Kör- peroberfläche ist somatotop, das Frequenzspektrum von Tönen tonotop in corticalen Strukturen repräsentiert, doch stets gilt, dass diese einfache Topographie verloren geht, wenn es zu wei- teren Verarbeitungsstufen kommt. Das Gehirn strebt nach Abstraktion; Grundprinzip der neu- ronalen Informationsverarbeitung ist, sich von dem unmittelbar Gegebenen, das mathematisch oder physikalisch als Koordinatensystem relativ einfach beschreibbar ist, zu befreien, doch welches die zielrichtungen dieser Abstraktionsprozesse sind, dies ist die wissenschaftliche Herausforderung, der es sich zu stellen gilt. 4.   Psychophysische Modelle Es mag bereits deutlich werden, dass die einzelnen Modelle, die in der Psychologie eingesetzt werden, nicht voneinander unabhängig sind. Sie repräsentieren jeweils unterschiedliche Per- spektiven auf das Psychische. Dies gilt auch für das psychophysische Modell, auf das man sich jedoch auf Grund seiner verschiedenen Ausprägungen in der Mehrzahl beziehen sollte. Die Ausgangsüberlegung ist hier wie bei anderen Modellen wiederum recht einfach: Wenn es richtig ist, dass sich „die Welt um uns“ mit relativ einfachen physikalischen Regeln beschrei- ben lässt, wie es zumindest die klassische Physik nahelegt, dann sollte man für die Grundlagen des Psychischen nach jenen Regeln suchen, die das physikalisch Beschreibbare auf der Ebene des Erlebens abbilden. Man geht also nicht von psychischen Prozessen aus, die sich phäno- menologisch beschreiben lassen, sondern man geht von der physikalischen Beschreibung der Nova Acta Leopoldina NF 110, Nr. 377, 213–233 (2011) Ernst Pöppel und Eva Ruhnau 220