Please activate JavaScript!
Please install Adobe Flash Player, click here for download

Nova Acta Leopoldina Band 110 Nummer 377

Ein anderes phänomenologisches Modell ist an den Künsten orientiert (RENTSCHLER et al. 1988). Man kann prüfen, welche Künste es eigentlich gibt, und welches die Inhalte sind, die jeweils in den einzelnen Künsten behandelt werden. Auch hier zeichnet sich, aber in anderer Weise als beim ökonomischen Modell eine Landkarte dessen ab, was Menschen bewegt. Es ist auffällig, dass sich aus allen primären Sinneserfahrungen künstlerische Trajektorien ent- faltet haben, und dies unabhängig von der jeweiligen Kultur (PöPPEL 2006). Da dies der Fall ist, muss man akzeptieren, dass in jeder Taxonomie des Psychischen sensorische und moto- rische Erfahrung eine fundamentale Rolle spielen. Sowohl das ökonomische Modell als auch das Modell der Künste stellen implizite Szenarien dar, in denen sich psychische Phänomene Ausdruck verschaffen. Es war der Philosoph Ernst CASSIRER, der in seiner „Philosophie der symbolischen Formen“ darauf hingewiesen hat, dass das Geistige stets nach Ausdruck strebt, und einen solchen Ausdruck in der Kunst, in der Sprache, aber auch im Mythos oder der Religion und auch in der Technik findet. So erlauben diese Szenarien des Ausdrucks die Erstellung von Katalogen, in die die psychischen Bausteine des Erlebens eingetragen sind. In einer möglichen Taxonomie des Psychischen müssen diese dann angemessen repräsentiert sein. Doch man stößt auf weitere phänomenologische Modelle, die sich aus der Betrachtung des eigenen Erlebens oder der Analyse psychischer Prozesse bei anderen ergeben. Besonders attraktiv scheinen Schichtenmodelle zu sein, in denen eine hierarchische Beziehung angenom- men wird, etwa mit solchen Schichten wie des Anorganischen, des Lebens, des Geistes und der Seele, wie es der Philosoph Nicolai HARTMANN (1940) getan hat. Ein besonderes Schich- tenmodell hat Sigmund FREUD (1932) entwickelt, dessen Einteilung in das Es, das Ich und das über-Ich zum Allgemeinwissen geworden ist. Berühmt ist sein Satz, dass „wo Es war, Ich werden soll“, dass wir also bestrebt sein sollen, das Unkontrollierte unter eine willentliche Kontrolle zu bringen. Es ist auffällig, dass in vielen Bereichen der Psychologie dieses Modell die Richtschnur des Denkens und Handelns geworden ist; man muss jedoch auf das Problem hinweisen, dass das psychoanalytische Modell trotz seiner für manche überzeugenden Ein- gängigkeit vor allem auch wegen seiner überzogenen Einfachheit nicht geeignet ist, als allge- meine Grundlage einer Beschreibung psychischer Prozesse zu dienen. Es liefert eine besondere Perspektive, verschließt aber den zugang zu einer umfassenden naturwissenschaftlichen Be- trachtung psychischer Prozesse wie der Wahrnehmung, von Gedächtnisprozessen oder auch der emotionalen Wertungen, obwohl gerade diese im zentrum des psychoanalytischen Modells stehen. Eine besondere Klasse der phänomenologischen Modelle bilden die Tiermodelle.8 Im Rah- men der ethologischenAnalyse des Verhaltens werden Merkmale beschrieben, die als homolog zu menschlichem Verhalten gelten können; die ähnlichkeit bestimmter Verhaltensaspekte muss also über eine bloße Analogie hinausgehen. Dieser Ansatz hat sich als außerordentlich fruchtbar erwiesen, denkt man nur an die Untersuchung des visuellen Systems. Studien an nicht-menschlichen Primaten liefern auch Einblicke in das visuelle System des Menschen, für das beispielsweise Voraussagen gemacht werden konnten wie das sogenannte Blindsehen, also visuelle Reize ohne eine bewusste Repräsentation verarbeiten zu können (PöPPEL et al. 1973). Befunde an Versuchstieren motivierten erst die Suche nach äquivalenten Leistungen im Men- schen. Experimentell geht man meist so vor, dass zunächst eine homologe Verhaltensweise Nova Acta Leopoldina NF 110, Nr. 377, 213–233 (2011) Ernst Pöppel und Eva Ruhnau 224 8 DARWIN 1872, VON HOLST 1969, LORENz 1943, SKINNER 1981, TINBERGEN 1956, VON UEXKüLL 1973.