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Nova Acta Leopoldina Band 110 Nummer 377

voraus, dass eine erfolgreiche Handlung antizipiert wird. Schon einfachste Organismen sind also mit „Antizipation“ ausgestattet. Alle diese Operationen setzen außerdem voraus, dass es eine Instanz der Bewertung gibt. Wenn das ziel erreicht ist, dann muss der Organismus „wis- sen“, dass das ziel erreicht wurde; wenn kategoriale zustände miteinander verglichen werden, um auf der Basis des Vergleichs eine Wahl zu treffen, dann findet dies immer im Rahmen einer Bewertung statt. Mit einfachsten Worten kann man sagen, dass der Organismus sich lau- fend selbst überwacht, indem er die Frage prüft: „Was ist gut für mich, was ist schlecht für mich?“ Diese Operationen müssen wir also bereits bei einem Einzeller annehmen, der sich auf ein ziel hin bewegen kann. Es ist nun bemerkenswert, dass es dieselben Operationen sind, die Organismen mit Gehirnen kennzeichnen (PöPPEL 2006). Wenn man die grundlegenden kogni- tiven Prozesse des Menschen beschreiben will, dann kommt man zu einer entsprechenden Hierarchie mentaler Operationen, wobei wiederum die vorausgesetzte Perspektive ist, dass es auch uns letzten Endes um die erfolgreiche Regulation eines homöostatischen Gleichgewichts geht. Eine Grundoperation unseres Gehirns ist die Bestimmung von kategorialen zuständen, also mit Hilfe der Wahrnehmung „Etwas als Etwas“ in seiner Identität aus dem Fluss der sen- sorischen Information zu extrahieren. Diese elementaren Bausteine werden miteinander in Beziehung gesetzt, um einen Vergleich zu ermöglichen. Für den Einzeller wie für den Men- schen gilt, dass jeweils Relationen hergestellt werden; das „In-Beziehung-setzen“ ist ein wei- teres Grundprinzip des Lebendigen. Wenn auf der Grundlage eines Vergleichs eine Wahl möglich geworden ist, dann kann eine Entscheidung fallen, die Grundlage einer Handlung ist. Wird die Handlung erfolgreich beendet, wird dies dem Organismus zurückgemeldet, und ein neuer Handlungszyklus kann beginnen, alles immer im Dienste der Sicherstellung eines in- neren Gleichgewichts. Es ist bemerkenswert, und vielleicht ist dies wieder ein „Wunder der Natur“, dass die gleichen Prinzipien auf allen Stufen des Lebens gelten, und damit auch Prinzipien des Er- Lebens sind. Es gilt sich dennoch zu fragen, worin der prinzipielle Unterschied zwischen einem Einzeller und einem Menschen besteht, sieht man einmal von den quantitativen Un- terschieden ab? Was kommt bei uns hinzu, das uns qualitativ anders macht? Ein entschei- dender Faktor ist das explizite Wissen über diesen Unterschied. Im Gegensatz zu vielen Lebewesen, wohl nicht zu allen, haben Menschen eine mögliche Außenperspektive zu sich selbst entwickelt (GEHLEN 1962). Wir sind in der Lage zu wissen, was wir tun, wobei wir davon ausgehen, dass die meisten Lebewesen nicht über eine solche Außenperspektive ver- fügen. Die Forschung zu der sogenannten „Theory of Mind“ zeigt, dass sich diese Außen- perspektive in der Ontogenese erst entwickeln muss und möglicherweise im Alter wieder nachlässt. Mit dieser hinzukommenden Außenperspektive, die uns vermutlich heraushebt, wenn wir uns mit anderen Lebewesen vergleichen, haben wir nun aber plötzlich ein weiteres Problem für die Klassifikation von Funktionen und eine mögliche Taxonomie: Wir verfügen nämlich über zwei Bewusstseinszustände, einmal jenen, der gekennzeichnet ist durch ratio- nale Reflexion, ermöglicht durch die neu gewonnene Außenperspektive, und zum anderen jenen, den man als „empathischen Bezug“ kennzeichnen kann, der unmittelbar die Innenper- spektive des Erlebenden repräsentiert. Wenn man sich bei der Modellierung nur auf einen Bewusstseinszustand konzentriert, und üblicherweise gerät in den verschiedenen Modellen nur die rationale Reflexion und das explizite Wissen in den Blick, dann haben wir einen we- sentlichen Teil des Psychischen übersehen, gerade jenen, der in der Evolution an den Beginn des Lebens zurückreicht. Psychologie als eine auf Modelle angewiesene Angelegenheit ohne Taxonomie – eine Polemik Nova Acta Leopoldina NF 110, Nr. 377, 213–233 (2011) 227