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Nova Acta Leopoldina Band 110 Nummer 377

mation und bestehende Unsicherheit über die umfassende zustandscharakterisierung wird durch Erfahrungswissen überbrückt. Das neue Paradigma der Radiologie jenseits des Auges setzt genau an dieser Stelle an. Natur- und Informationswissenschaften ergänzen die Bildin- formation auf Basis fundierten Wissens durch angemessene mathematisch-naturwissenschaft- liche Modellbildung, erzeugen fehlerreduzierte sowie patientenindividuellere Prozesse, und werden die Entscheidungsposition des Radiologen stärken. 1.3 Messen statt Interpretieren Betrachtet man die großen wissenschaftlichen Errungenschaften von GALILEI bis heute im Vo- gelflug, so fällt auf, dass fast jede mit einer originären Messung oder Verbesserung einer Mess- methode einhergeht. Es ist nicht übertrieben zu behaupten, dass eine immer genauer werdende Messung der eigentliche Motor des Fortschritts der modernen Naturwissenschaften war und ist. Die oberflächliche historische Berichterstattung hebt häufig die heroisch kühne Gedan- kenleistung hervor und ignoriert die Mühsal der vorausgehenden Arbeit in einer Vielzahl von Einzelmessungen und der Sammlung von Messwerten. So steht KEPLER mit seinem revolu- tionären Weltbild der elliptischen Planetenbahnen von 1609 auf den Schultern von Genera- tionen messender Astronomen, die über Jahrzehnte akribisch Nacht für Nacht wertvolles Material zusammengetragen haben. EINSTEIN erfindet seine Relativitätstheorie nicht einfach, sondern sein geniales Werk ist ohne die Messung der Lichtgeschwindigkeit durch Albert MICHELSON von 1887 kaum denkbar. Die Entdeckung der Doppelhelix durch Francis CRICK und James WATSON aus dem Jahre 1953 verdanken wir der messenden Röntgen-Diffraktions- bildgebung. Die Revolution der Nanotechnologie wurde durch das Tunnel-Elektronen-Mikro- skop von Gerhard BINNIG und Heinrich ROHRER aus dem Jahr 1981 erst möglich, und die gemessene Rotverschiebung auf der Grundlage des Doppler-Effekts im Spektrum des Lichtes ferner Himmelsobjekte gibt uns Hinweise auf die Natur der Expansion des Universums. Kurz gesagt, es wird außerhalb der Natur- und Ingenieurwissenschaften oft nicht wahrgenommen, wie notwendig und gleichzeitig mächtig der innovatorische Impuls ist, der von der Möglichkeit und der Verbesserung von Messungen für ein Wissensgebiet ausgeht. Im Vergleich hierzu ist die Radiologie seit ihrer Entstehung bis in die letzten Jahre eine Bildwissenschaft geblieben, der die kontrollierte Messung im Sinne eines naturwissenschaft- lichen Experiments eher nicht geschenkt war. Der fortschreitenden Digitalisierung aller ra- diologischen Modalitäten ist es geschuldet, dass nun neben die interpretatorische Bildbe- trachtung die messende Bildauswertung tritt. Damit kann sich endlich auch die Radiologie in das Netz des Wissens und der Methoden der modernen Natur- und Informationswissenschaften integrieren und von dem interdisziplinären Wissenstransfer profitieren, der dort an der Tages- ordnung steht. 1.4 Fehlerkultur und Standardisierung für die bildbasierte Medizin zunächst ist zu erwarten, dass wir eine Flut neuer diagnostischer Methoden erleben werden, die bisher nicht vorstellbar waren. Darüber hinaus werden aber auch tradierte diagnostische Prozesse in völlig neuer Weise Unterstützung erhalten. Man denke etwa an die schon beste- henden CAD-Systeme für Mamma- und Lungenläsionen, bei der verdächtige Strukturen au- tomatisch erkannt und charakterisiert werden, oder an die Möglichkeiten der virtuellen Koloskopie. Gleichzeitig dürfen wir auf erhebliche Schübe in der Qualitätssteigerung für die Modellbildung in der bildbasierten Medizin: Radiologie jenseits des Auges Nova Acta Leopoldina NF 110, Nr. 377, 259–283 (2011) 263