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Nova Acta Leopoldina Band 110 Nummer 377

Breitenversorgung sowie eine Standardisierung und Vergleichbarkeit diagnostischer Methoden hoffen. Schließlich wird die Durchdringung der bildgebenden Medizin durch messende Pro- zesse, parallel zur Geschichte der Naturwissenschaften, eine längst überfällige Fehlerkultur erzeugen, wenn nicht gar erzwingen, und der jüngst oft geforderten und dennoch bisher kaum erfolgten evidenzbasierten Medizin Flügel verleihen. Den letzten Punkt wollen wir durch ein Beispiel aus der Verlaufskontrolle von Krebs- erkrankungen vertiefen, bevor wir uns einem weiteren Themenfeld widmen, in dem die ma- thematische Modellierung ganz im Mittelpunkt steht und einen Blick in zukünftige Ent- wicklungen erlaubt. 2.   Beurteilung des Therapieerfolges bei der Behandlung von Tumorerkrankungen Die Beurteilung einer Läsion im Verlauf einer Therapie ist eine der besonders häufigen Leis- tungen der Radiologie für die Klinik. Sie gilt gleichzeitig als eine der unbeliebtesten Dienst- leistungen, die erbracht werden müssen, um z. B. die Onkologie, Chirurgie oder eine klinische Studie in ihrer Therapiebeurteilung zu unterstützen. Obwohl für diese fundamentale Aufgabe ein normiertes Kriterium existiert (RECIST 1999),1 ist es weltweit eher üblich, sich auf eine Beurteilung mit bloßem Auge zu stützen. Der naturwissenschaftlich erzogene Beobachter fragt sich hier sofort: Welche Fehlerursachen sind dabei möglich, welche Größe und Wirkungen haben diese Fehler, und welche Irrtumswahrscheinlichkeiten sind in Folge zu erwarten? Unser erstes Beispiel wird dazu genaue Ergebnisse und Lösungsvorschläge anbieten. 2.1 Die ernüchternde Erasmus-Studie Im Jahre 2003 veröffentlichte Jeremy ERASMUS vom angesehenen MD Anderson Cancer Cen- ter der University of Texas in Houston eine bemerkenswerte Studie (ERASMUS et al. 2003), in der Radiologen, die auf Lungenerkrankungen spezialisiert waren, auf ihre Irrtumswahrschein- lichkeit bei der Beurteilung von Tumorwachstum getestet wurden. Im ersten Teil der Aufga- benstellung mussten sie, wie in der täglichen Routine üblich, die Durchmesser von relativ großen2 Lungentumoren auf der Grundlage von computertomographischen Schichtaufnahmen in der Erwartung messen, dass ihnen die gleichen Patienten nach einiger zeit wieder zur Be- urteilung vorgelegt würden, um die Veränderung der Tumorgröße nach Behandlung zu beur- teilen. Tatsächlich wurden die Experten aber getäuscht: Man legte ihnen in der nachfolgenden Beurteilung exakt dieselben Bilder noch einmal vor, d. h., die Experten hätten keine Verände- rung konstatieren dürfen (RECIST-Klassifikation stable disease). Tatsächlich sind die Schwan- kungen bei der Durchmesserbestimmung aber derart, dass die Messungen in etwa jedem dritten Fall um mehr als 20 % auseinanderklaffen, was nach der internationalen Norm RECIST als progressive disease zu klassifizieren wäre. In etwa jedem 7. Fall ist die Differenz sogar so groß, dass eine Durchmesserabnahme von 30 % überschritten wird, so dass nach RECIST trotz der identischen Daten eine Klassifikation als partial response erfolgen müsste. Die dadurch nachgewiesene Häufigkeit der resultierenden Fehlklassifikationen, und in der Nova Acta Leopoldina NF 110, Nr. 377, 259–283 (2011) Heinz-Otto Peitgen, Horst Hahn und Tobias Preusser 264 1 Response Evaluation Criteria in Solid Tumors. 2 Bei kleinen Läsionen amplifizieren sich die Fehlereffekte dramatisch. Siehe hierzu auch die nachfolgende Dis- kussion über Partialvolumeneffekte.