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Nova Acta Leopoldina Band 110 Nummer 377

Alle drei Komponenten des Wachstums des Bruttoinlandsprodukts pro Kopf zeigen also eine negative Tendenz. Genau hierin liegt die ökonomische Herausforderung: Wie kann man in möglichst allen drei Komponenten nun doch zumindest eine Stabilisierung erreichen? Die Lösungsansätze liegen im Prinzip auf der Hand. Erstens müssen wir sehen, dass unsere ältere Belegschaft durch vermehrte Aus- und Weiterbildungsanstrengungen eben nicht an Pro- duktivität verliert. zweitens müssen wir uns anstrengen, dass die ohnehin in Deutschland nied- rige Erwerbsquote trotz des demographischen Wandels ansteigt, indem jüngere Menschen früher in den Beruf eintreten, mehr Frauen Familie und Beruf miteinander vereinbaren können, und wir die Menschen nicht schon mit Anfang 60 in den Ruhestand schicken. Drittens hilft es uns, wenn durch kapitalgedeckte soziale Sicherungssysteme (Rente, Krankenversicherung, Pflegeversicherung) ein Kapitalstock angesammelt wird, der über die Dauer seiner Akkumu- lation uns hilft, zusätzliches Produktivkapital zu schaffen, und gleichzeitig die jüngere Gene- ration von zukünftigen Sozialabgaben entlastet. Der Punkt, den ich an dieser Stelle machen möchte, liegt mir sehr am Herzen: Alle drei Komponenten des Bruttoinlandsprodukts können auch bei einer alternden Gesellschaft wach- sen, eine alternde Gesellschaft ist also keineswegs zum Stillstand oder gar Rückschritt ver- dammt, ganz im Gegenteil bietet die Tatsache, dass Menschen im Alter von 60 Jahren heute eher den Menschen im Alter von 50 Jahren vor einer Generation ähneln, eine enorme Chance. Aufgabe der Volkswirtschaftslehre ist es nun, diese für viele vielleicht intuitiv, für andere schwer nachvollziehbaren überlegungen wissenschaftlich zu fundieren. Das werde ich im Folgenden tun. 3.   Die Rolle mathematischer Modelle in den Wirtschaftswissenschaften Dazu sind zunächst einige grundsätzliche Bemerkungen über die Rolle von mathematischen Modellen in der Volkswirtschaftslehre angebracht, zumal, wie viele von Ihnen wissen, ein heftiger Methodenstreit unter den ökonomen entbrannt ist, inwieweit die Mathematisierung der Volkswirtschaftslehre nicht über das ziel hinausgeschossen ist. Verglichen mit unseren Schwesterwissenschaften in den Sozialwissenschaften ist in der Volkswirtschaftslehre die Mathematisierung in der Tat am weitesten fortgeschritten. Das Den- ken in mathematisch formulierten Modellen ist zum Standardverfahren wissenschaftlicher Er- kenntnisfindung in Theorie und Empirie geworden. Das zeichnet die ökonomie aus und ist ein guter Indikator für ihren wissenschaftlichen Fortschritt – und zwar aus den beiden eingangs erwähnten Gründen, nämlich der Versuchung, politischen Kurzschlüssen zu erliegen, und der Komplexität wirtschaftlicher Systeme. Für das aus beiden Gründen notwendige Korsett liefert die Mathematik eine für alle gemeinsame Sprache. Das ist bei den Historikern und Soziologen nicht so. Hier ist die Sprache selbst Teil der Methodik, die jedoch zugang für verschiedene Interpretationen lässt. über die Rolle der mathematisch formulierten Theorie gibt es derzeit einen heftigen Streit in der ökonomenprofession, der dort bizarre züge trägt und der ohnehin wackeligen Akzep- tanz unserer Profession schadet, wo er in den zeitungen mit emphatisch formulierten Aufrufen und offenbar dem Medium geschuldeten simplistischen Argumenten ausgetragen wird. Der den Streit auslösende Vorwurf lautet, überspitzt formuliert, dass die Mathematisierung die Na- tionalökonomie inhaltsleer gemacht hat. Letztlich triviale Modelle können keine neuen Er- kenntnisse produzieren, da alle Ergebnisse aus übermäßig simplifizierten Strukturannahmen Nova Acta Leopoldina NF 110, Nr. 377, 285–301 (2011) Axel Börsch-Supan 290