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Nova Acta Leopoldina Band 110 Nummer 377

folgen. Für die praktische Wirtschaftspolitik seien die Modelle daher nutzlos; die Verdrängung der argumentativen Volkswirtschaftslehre vor allem im Fach Wirtschaftspolitik durch Modell- theoretiker führe zum Identitätsverlust. Der intellektuelle Kern dieses Streits ist faszinierend: Welche Sprache muss sich eine Wis- senschaft geben, damit sie einerseits hochkomplexe Inhalte transportieren kann, anderseits aber transparent und vollständig verifizierbar bleibt? Einige Vertreter unseres Faches finden, dass schon das in der Volkswirtschaftslehre omnipräsente Englisch der deutschen Sprache un- terlegen wäre, a forteriori die mathematische Sprache. Eine Ironie der zeitgeschichte besteht darin, dass dieser Streit in die zeit der Finanz- und Wirtschaftskrise fällt, in der den ökonomen ohnehin völliges Versagen vorgeworfen wird, weil ihre Modelle weder den zusammenbruch des Bankensystems vorhergesehen haben noch das Bruttoinlandsprodukt des Folgemonats prognostizieren können. In der Tat steht uns Na- tionalökonomen, die durch den behutsamen Umgang mit arroganten äußerungen nicht allzu bekannt sind, etwas mehr Bescheidenheit gut an. Unsere reine Grundlagenforschung steckt eben doch noch in den Kinderschuhen, und unsereAnwendungen machen katastrophale Fehler, weil einige der Modelle wichtiges menschliches Verhalten ignoriert haben und andere Modelle auf Situationen angewandt wurden, auf die sie nicht passten. Dies geht der Physik jedoch auch nicht anders. Wir sehen Brücken einstürzen und Flug- zeuge im Himmel auseinanderbrechen. Wissenschaftliche Erkenntnis hat ihre Grenzen, damit müssen wir leben. Sie erfordert bessere Modelle, mehr Empirie, mehr Rückkopplung und Si- cherheitsmargen. Vereinfachte Modelle eines Flugzeugrumpfs ignorieren Bruchgefahren; Modelle des Kapitalmarktrisikos, die den Herdentrieb der Makler und Käufer ignorierten, haben unser Finanzsystem zerbrechen lassen. Windkanäle, welche die Quer- und Wirbelströ- mungen eines tropischen Sturms nicht modellieren, führen zu ebenso falsch interpretierten empirischen Daten wie die ökonometrischen Modelle der Volkswirtschaftslehre, die mit einer haarsträubend schwachen Datenlage zu kämpfen haben. (Notabene: weil der Aufbau einer Forschungsinfrastruktur von Daten, die für die wirtschaftswissenschaftliche Analyse geeignet sind, im Kampf um knappe Mittel gegen die noch viel teureren Forschungsinfrastrukturen der Natur- und Lebenswissenschaften immer wieder unterliegt.) Auch für die Beachtung von Sicherheitsmargen gilt das Gleiche in den physikalischen wie den ökonomischen Anwendun- gen: Man hat im Wettbewerb der Fluglinien wie der Banken untereinander zu schnell erlaubt, dass auch das Letzte aus einem eben nicht vollständig verstandenen System herausgeholt wird. Die ökonomie hat keinen Grund zur Arroganz, aber sie steht auch nicht alleine mit ihren Fehlern da. Es gilt in der Technik- wie in der Finanzwelt, noch viel Neues in der an- wendungsorientierten Forschung zu entdecken, auch und gerade als Lehre aus den Katastro- phen. zu glauben, man hätte die derzeitige Wirtschaftskatastrophe verhindern können, indem man auf mathematische Modelle verzichtet hätte, ist jedoch ebenso aberwitzig wie der Vor- schlag, Flugzeuge wieder „Pi mal Daumen“ zu bauen. Es ist ein Irrglaube, dass die Intuition erfahrener Volkswirte besser ist als alle Modelle. zu oft haben sich auch solche ökonomen getäuscht, deren Intuition vorher gerühmt wurde. zu komplex sind eben die Systeme. Und, wie betont, zu oft ist das, was Intuition genannt wird, dann doch nur Einfallstor für politisch geprägte Glaubensgrundsätze. Das hat mit Wissenschaft nichts zu tun. Ein erstes Caveat: zum einen ist eine gesunde Intuition unabdingbar in jeder Wissenschaft: Vor allem braucht man einen „Riecher“ bei der kritischen Einschätzung von Modellergebnis- sen. Gute Taschenrechner ersetzen nicht das gute Kopfrechnen, sonst wird es schnell teuer. Computermodelle in der Volkswirtschaftslehre Nova Acta Leopoldina NF 110, Nr. 377, 285–301 (2011) 291