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Nova Acta Leopoldina Band 110 Nummer 377

nur in Bezug auf seine Erscheinungsweise, also im Hinblick auf seine ausschließlich optischen Attribute zeigt – unter Absehung aller übrigen Eigenschaften.3 2.   Einstieg mit Platon: Höhlen- und Liniengleichnis Es ist aufschlussreich, dass sich zu Beginn des abendländischen Philosophierens bei PLATON zwei Gleichnisse finden, mit denen sowohl der Täuschungs- wie auch der Erkenntnissinn des Simulierens – in einer gewissen Weise jedenfalls – vorweggenommen werden. In PLATONS wohlbekanntem Höhlengleichnis4 sind Menschen im Inneren einer Höhle in Bewegungslosig- keit so gefesselt, dass sie zeit ihres Lebens nur die rückseitige Höhlenwand, nie aber den Höh- lenausgang erblicken können. zwischen der Höhlenöffnung und dem Rücken der Gefangenen brennt ein Feuer und zwischen dem Feuer und den Gefangenen wiederum befindet sich eine Mauer; Gegenstände, welche die Mauer überragen, werden vorbei getragen. Die Gefangenen sehen alleine die Schatten dieser Gegenstände an der Höhlenwand. Beschränkt auf die Welt dieser Abbilder, können die Höhlenbewohner nicht anders, als die Schatten für die wirklichen Gegenstände zu halten. Ihre Welt ist die zwischenwelt der Abbilder; da ihre Stellung es ihnen verwehrt, die Schatten als Abbilder zu erkennen, werden sie zu Gefangenen ihrer Trugbilder. Diese Schilderung gibt nur den Auftakt ab im Höhlengleichnis, welches im Fortgang die kom- plexe und komplizierte Situation schildert, die entsteht, wenn einem der Gefangenen die Mög- lichkeit gegeben wurde, sich umzudrehen, die Höhle zu verlassen und die Schatten als das zu erkennen, was sie sind: nicht die Dinge selbst, sondern deren Abbilder. Für uns ist am Höhlen- gleichnis nur eines wesentlich: Nicht Abbilder per se bilden für PLATON das Problem; sondern dass aus dem Abbild ein Trugbild, aus der Nachbildung eine Täuschung genau dann wird, wenn ein Bewusstsein des Abbildcharakters fehlt. Wie dagegen eine Situation, in der ein solches Be- wusstsein vorhanden ist, aus dem Abbild dann ein Erkenntnismittel und Wahrheitsinstrument hervorgehen lässt, davon zeugt ein anderes platonisches Gleichnis, das Liniengleichnis5 , das nur wenige Abschnitte vor dem Höhlengleichnis im Text zu finden ist. Hier erklärt SOKRATES verschiedene Schichten des Seienden anhand einer Analogie: zuerst ist eine Linie zu ziehen und diese in zwei ungleiche Abschnitte zu unterteilen, so dass der klei- nere Abschnitt den Bereich des Wahrnehmbaren, der größere den Bereich des Denkbaren mar- kiert. Beide stehen dabei im Verhältnis von Abbild (das Wahrnehmbare) und von Urbild (das Denkbare) zueinander. Sodann wird für beide Abschnitte dieselbe Untergliederung nach Maß- gabe der Urbild-/Abbild-Beziehung noch einmal ausgeführt, so dass sich insgesamt vier Ab- teilungen entlang der Linie, die wir uns am besten als eine vertikale Linie vorzustellen haben, ergeben. Jeder Abschnitt steht für einen Bereich unserer Welt: Am unteren Ende sind die Ab- bilder, Schatten, Spiegelungen platziert; es folgen die Lebewesen, Pflanzen und Dinge, die deren Referenzgegenstand ausmachen und gemeinsam mit den Abbildern das Reich des Sicht- baren bilden. Mit dem dritten Abschnitt setzt die Welt des Intelligiblen ein: Hier – im dritten Teil – befinden sich die mathematischen Gegenstände, geometrische Figuren oder zahlen, sowie die wissenschaftlichen Begriffe. Im größten und letzten Abschnitt schließlich werden die Ideen bzw. Formen, welche wiederum die Urbilder für die wissenschaftlichen Gegenstände Nova Acta Leopoldina NF 110, Nr. 377, 303–322 (2011) Sybille Krämer 306 3 zu Bildern als Gegenständen ‚reiner Sichtbarkeit‘: WIESING 2005, S. 30ff. 4 PLATON, Politeia, 514a –517a. 5 PLATON, Politeia, 509d–51e.