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Nova Acta Leopoldina Band 110 Nummer 377

bilden, lokalisiert. Diesen vier ontologischen Einteilungen korrespondieren jeweils Formen kognitiver – PLATON sagt hierzu: ‚seelischer‘ – Aktivitäten: Vermutungen bilden die unterste Stufe; dann folgt der Glaube; der dritten Stufe entspricht die immer auch durch Hypothesen organisierte Erkenntnistätigkeit des Verstandes und zuletzt treffen wir auf die Einsicht der Vernunft. 3.   Visualisierung von Platons Liniengleichnis (Politeia 509d–511e) Wieder müssen wir die Komplexität dieses Gleichnis vereinfachen und konzentrieren uns al- lein auf den dritten Abschnitt, mit dem PLATON auf die Charakterisierung der Tätigkeit des Mathematikers zielt, welche für ihn allerdings paradigmatisch ist für alle wissenschaftliche Arbeit. Mit dem Urbild/Abbildverhältnis in der dritten Abteilung wird also das methodologi- sche Verfahren von Wissenschaften im Allgemeinen gekennzeichnet. Seine Besonderheit ist, dass der Mathematiker den sinnlich aufgezeichneten Kreis benötigt, um sich auf den unsicht- baren, mathematischen Kreis überhaupt beziehen zu können. Und dieses sinnliche Regime ist unverzichtbar, um beispielsweise geometrische Sachverhalte entdecken und beweisen zu kön- nen. Die wahrnehmbare Repräsentation wird zur conditio sine qua non wissenschaftlicher Er- kenntnis; denn diese ist angewiesen darauf, das Denkbare mit Hilfe von sinnlichen zeichenwelten zu verkörpern. Der Mathematiker zeigt den gezeichneten Kreis, aber er zielt dabei auf den Begriff des Kreises bzw. auf den Kreis als eine mathematische Entität, eben so, wie er auch weiß, dass der hingezeichnete und also ausgedehnte Punkt nur ein defizitäres Ab- bild sein kann für den unausgedehnten mathematischen Punkt. Anders als die Gefangenen der Höhle, weiß also der Wissenschaftler um die Differenz zwischen sinnlicher Repräsentation und theoretischer Entität. Somit haben die Objekte, mit denen der Mathematiker umgeht, einen zweifachen Charakter: sie sind Teil des Wahrnehmbaren und des nur Denkbaren. Und tatsäch- lich hat ARISTOTELES in einem Kommentar zu dieser Platon-Stelle den ‚intermediären Cha- rakter‘ dieser Objekte betont.6 Warum wir auf Höhlen- und Liniengleichnis zurückgegriffen haben, liegt jetzt auf der Hand. Es sind vier in diesen Gleichnissen verkörperte und aufeinander aufbauende Einsichten, die für den Fortgang unserer überlegungen zum wissenschaftlichen Simulieren bedeutsam werden: (1.) Sein ist Abbildbar-Sein. Was immer existiert, ist auch fähig, visualisiert zu werden. Bild- haftigkeit ist das Schlüsselphänomen der Platonischen Ontologie. (2.) Diese Abbildbarkeit gilt nicht nur für die Welt der Dinge und Lebewesen, sondern auch für die Welt abstrakter Gegenstände, also die Region dessen, was PLATON unter den ‚For- men‘, den ‚Ideen‘ versteht. Es ist das Abstrakte, das Theoretische, das Unsichtbare, das bloß Denkbare, das wir in intellektueller Tätigkeit uns versinnlichen müssen. Solche Ab- bildung des Nichtwahrnehmbaren ist konstitutiv für wissenschaftliches Tun. (3.) Wenn jedoch der Umgang mit bildhaften zeichenwelten, mit ‚intermediären Objekten‘, grundlegend ist für Wissenschaft, dann muss das (Ab)Bildbewusstsein integraler Bestand- teil wissenschaftlichen Tuns sein. (4.) Da, wo dieses Bewusstsein schwindet, werden die Abbilder zu Trugbildern und die Wis- senschaftler zu ‚Gefangenen‘ ihrer Erkenntnisinstrumente. Simulation und Erkenntnis. Über die Rolle computergenerierter Simulationen in den Wissenschaften Nova Acta Leopoldina NF 110, Nr. 377, 303–322 (2011) 307 6 ARISTOTELES, Metaphysik I, 987b 14–17.