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Nova Acta Leopoldina Band 110 Nummer 377

Erkenntnis der bildgebenden Verfahren unabdingbar bedürfe. Und all dies ist heute durch viel- fältige Einzelstudien gründlich untermauert, denken wir – um nur einige ganz unterschiedliche Gebiete herauszugreifen – an die ethnographischen Feldforschung,21 die experimentelle Hoch- energiephysik,22 die Hirnforschung,23 die Mathematik selbst,24 die Klimaforschung25 etc. zwar steht eine ‚Epistemik des Visuellen‘,26 eine Theorie des visuellen Denkens noch aus; doch einige Einsichten über die Eigenart und die Aufgabe von Visualisierungen in den Wissenschaften lie- gen auf der Hand: (1.) Flächigkeit: Für die meisten Arten von Bildern ist es charakteristisch, dass sie auf dem abgegrenzten Raum einer Fläche lokalisierbar sind. Die Fähigkeit, den uns umgebenden (dreidimensionalen) Lebensraum mit zusätzlichen zweidimensionalen Raumgebilden zu ergänzen, ist bemerkenswert. Angesiedelt im Nahraum von Auge und Hand, lassen sich solche handhabbaren Gebilde27 bestens aufbewahren, transportieren, zirkulieren – und ge- gebenenfalls auch vernichten. Die Evolution des Bildschirms, die uns schließlich zum Personal-Computer führt und von da zum IPad, entspringt dieser Ingeniösität artifizieller Oberflächen: Mit und auf ihnen können wir Abwesendes präsentieren, Abstraktionen ver- sinnlichen und nicht zuletzt uns global vernetzen. Und immer sind dabei Auge und Hand und Apparatur gemeinsam im Spiele. (2.) Figurative Inskriptionen/Instrumentenbilder: Das umfangreiche Feld wissenschaftlicher Visualisierungen lässt sich – stark typisierend – in zwei Domänen unterteilen: Das eine Feld können wir ‚figurative Inskriptionen‘ nennen. zu dieser weiten Domäne gehören alle Arten von (technischen) zeichnungen, Skizzen, Diagrammen, Graphen und Karten. Sie sind Versionen eines ‚Graphismus‘, hervorgehend aus der Interaktion von Punkt, Strich und Fläche. Vielleicht ist diese ‚Sprache des Raumes‘ unserem verbalen Sprachvermögen – in kognitiver Hinsicht – durchaus ebenbürtig: jedenfalls wurde die Kunst figurativer Ein- schreibung in nahezu allen Kulturen und zu allen zeiten als Mittel praktischer und theore- tischer Orientierung ausgeübt.28 Ihr Kunstgriff besteht darin, Raumrelationen als eine Ordnungsform einzusetzen, mit der gerade nicht-räumliche Sachverhalte systematisiert, analysiert und dargestellt werden können. Die andere Klasse wissenschaftlicher Visuali- sierungen bilden die ‚Instrumentenbilder‘, die von technischen Apparaten wie Fotografie, Röntgen, Echolot, Radartechnik, Raster-Elektronenmikroskop, Sonartechnik etc. erzeugt werden und den Anspruch haben, einen Sachverhalt möglichst genau abzubilden. (3.) Operative Bildlichkeit: Bilder sind „Sichtbarkeitsgebilde“,29 welche das, was sie darstellen, nur in Hinsicht auf die Sichtbarkeit eines Objektes präsentieren, unter Absehung aller üb- rigen Attribute, die einem Objekt (ebenfalls) zukommen. Gleichwohl – und hier stoßen wir auf einen wesentlichen Unterschied zwischen Kunstbildern und jenen ‚nützlichen Bil- dern‘, die dem Erkennen dienen: Mit den wissenschaftlichen Visualisierungen ist eine Nova Acta Leopoldina NF 110, Nr. 377, 303–322 (2011) Sybille Krämer 312 21 LATOUR 1966. 22 KNORR-CETINA 2001. 23 CRELIER und JäRMANN 2001. 24 NEUNzERT 1995. 25 GRAMELSBERGER 2009. 26 So HESSLER und MERSCH 2009, S. 17. 27 LATOUR 1990. 28 LEROI-GOURHAN 1980. 29 FIEDLER 1991, S. 192, an den WIESING 2005, S. 30, anknüpft.