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Nova Acta Leopoldina Band 110 Nummer 377

gungen große Unterschiede in den späteren Erscheinungen bedingen […] Die Vorhersage wird unmöglich und wir haben eine ,zufällige Erscheinung‘“.37 POINCARé war damit auf das Prinzip nicht-linearer Dynamiken gestoßen, für die gilt: an die Stelle des Prinzips, dass ähnlichen Ur- sachen auch ähnliche Wirkungen entsprechen, tritt nun das nicht-lineare Prinzip, dass ähnliche Ursache grundverschiedene Wirkungen haben können. Dieser Maxime folgen nahezu alle komplexen Systeme: Wolkenbilder am Himmel ebenso wie Wirbel in Flussströmungen. Be- denken wir nun, dass die modernen Wissenschaften – nicht zuletzt infolge ihres Anwendungs- bezuges – zumeist mit komplexen Systemen zu tun haben: um das Verhalten von Satelliten im Gravitationsfeld der Erde, um Strömungsverhältnisse im zusammenhang künstlicher Herz- klappen oder um das Verhalten von Aktienbesitzern. Werden solche Vorgänge nun mathema- tisch beschrieben, so ist das nur möglich mit Hilfe von partiellen nicht-linearen Differenzgleichungen, für die – außer unter den Bedingungen unrealistisch idealisierter Rand- bedingungen – keine allgemeine analytische Lösung existiert. Eine andere Form der Handhabung des mathematischen Apparates musste also her: und eben diese besteht in der „numerischen Simulation von Gleichungen“.38 Das Problem, auf das also die computergenerierten Simulationen eine Antwort geben, besteht in der Beschreibung und Vorhersage nicht-linearer Dynamiken. Wohlgemerkt: es geht hier nicht um irgendeine Form von kategorischer Unlösbarkeit. Im Gegenteil: nichtlineare Systeme entziehen sich ge- rade nicht der mathematischen Bearbeitung, sondern erfordern nur deren Formveränderung. über die analytische Lösung einer Gleichung zu verfügen, impliziert die Gewissheit, durch algebraische Umformungen den zustand des analytisch berechenbaren Systems zu jedem be- liebigen zeitpunkt exakt angeben zu können. Pate dieser Gewissheit ist die Annahme einer Stetigkeit in der Entwicklung des Systems. Doch eben diese Stetigkeit fehlt in nicht-linearen Dynamiken. Und das wird zur Stunde der ‚numerischen Simulation‘. Was für eine Art von Lösung bedeutet diese Numerik? Die bei der analytischen Lösung noch als kontinuierlich angenommene zeitlinie wird in der numerischen Behandlung dis- kretisiert, also in einzelne zeitpunkte bzw. zeitabschnitte zerlegt. An die Stelle einer glo- balen analytischen Berechenbarkeit einer Funktion tritt daher ihre nur noch lokale numerische Berechenbarkeit, die auf genau einen spezifischen zeitpunkt bezogen und auch begrenzt ist. „Statt der in der zeit kontinuierlichen Differentialgleichungen betrachtet man die diskrete sogenannte ,finite Differenzgleichung‘“.39 Und diese numerische Bestimmung einer lokalen Größe muss, um überhaupt als aussagekräftige Darstellung einer Dynamik zu gelten, für jeweils viele zeitstellen mit je neu eingegebenen Parametern und also mit aller- größtem Rechenaufwand betrieben werden. Errechnet wird dabei eine Wertetabelle für Sys- temzustände zu vielen verschiedenen zeitpunkten – welche dann ‚realistisch‘ visualisiert werden kann. Was wird dabei simuliert? Als erste Antwort drängt sich auf: das, was ‚simuliert‘ wird, ist die exakte analytische Lösung. Doch die Sachlage so zu sehen, birgt ein Problem: Eine exakte analytische Lösung existiert im Falle der meisten komplexen Systeme nicht. Simuliert wird also etwas, was anders als durch die Simulation gar nicht (mehr) zu haben ist. Die nu- merische Simulation kann daher auch nicht als eine – immer weiter verfeinerbare – Annähe- Nova Acta Leopoldina NF 110, Nr. 377, 303–322 (2011) Sybille Krämer 316 37 POINCARé 1973, S. 57; zitiert in GRAMELSBERGER 2010, S. 36. 38 GRAMELSBERGER 2010, S. 35. 39 KüPPERS und LENHARD 2005, S. 313; auch WINSBERG 1999, S. 278.