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Nova Acta Leopoldina Band 110 Nummer 377

Weil Wahrnehmen so entscheidend von Vorannahmen abhängig ist, erwarten wir auch, dass es zwischen dem Wahrnehmen von realen konkreten Objekten und dem sich Vorstellen dieser Objekte hinsichtlich der dabei auftretenden Hirnaktivitäten keinen großen Unterschied geben wird. In den meisten Fällen beruht Wahrnehmung eben auf der Bestätigung von Hypothesen. Dies lässt sich inzwischen mit bildgebenden Verfahren nachweisen. Wenn man Versuchspersonen – im dargestellten Fall im Kernspintomographen (Abb. 7) – untersucht und prüft, wo im Gehirn Aktivität auftritt, wenn die Versuchsperson sich bei ge- schlossenen Augen z. B. ein rotierendes Wagenrad vorstellt, das sie vorher schon einmal ge- sehen hat, dann beobachtet man Aktivierungen in den grün markierten Bereichen. Diese müssen aktiv sein, um die gespeicherten Inhalte aus den hier gelb und orange markierten Area- len des Sehsystems auszulesen. Alle grün, orange und gelb markierten Areale erweisen sich dabei als gleichermaßen aktiv, unabhängig davon, ob die Versuchsperson sich das Objekt nur vorstellt oder die Augen aufmacht und es tatsächlich sieht. Im letzten Fall kommen lediglich noch Aktivierungen in den Sehrindenbereichen hinzu, in denen die Signale vom Auge zum ersten Mal in der Großhirnrinde verarbeitet werden. Das belegt, dass Vorstellung und Wahr- nehmung sich nur durch geringe Unterschiede in der Hirnaktivität unterscheiden – weshalb man eben leicht der Täuschung anheim fällt, etwas wahrgenommen zu haben, was man sich nur vorgestellt hat. Bei bestimmten Krankheiten passiert das öfter, wird auffällig, und dann gibt es eine Diagnose. Das Problem haben wir jedoch alle, insbesondere dann, wenn wir unter Stress stehen. Es ist dies ein großes Problem bei der Bewertung von Zeugenaussagen. Man erhält glaubwürdige Berichte über konkrete Wahrnehmungen – auch wenn Fakten belegen, dass sich das Wahrgenommene nicht ereignet haben kann. Wenn man Patienten untersucht, die solche Fehlwahrnehmungen sehr oft haben – also von Halluzinationen geplagt sind, wie z. B. schizophrene Patienten –, dann findet man in ganz bestimmten Hirnregionen – bei ver- balen Halluzinationen sind dies die mit dem Hören und dem Verarbeiten von Sprache befassten Areale – massive Aktivierung, wenn eine Halluzination auftritt. Diese ist in ihrer Verteilung und Amplitude identisch mit der, die man bekommt, wenn man über Kopfhörer reale Sprache einspielt. Deshalb können die Patienten zwischen realem Sprechen und imaginiertem nicht Nova Acta Leopoldina NF 110, Nr. 377, 325–352 (2011) Wolf Singer 340 Abb. 7 Darstellung aktiver Hirnareale mittels Kernspintomographie: Vorstellen und Wahrnehmen gehen mit sehr ähnlichen Aktivierungsmustern einher.