Please activate JavaScript!
Please install Adobe Flash Player, click here for download

Nova Acta Leopoldina Band 110 Nummer 377

Wie kann ein so weit verteiltes, hoch dynamisiertes Erregungsmuster Grundlage kohärenter, stabiler Wahrnehmungen sein? Woher weiß das System, welche der vielen Aktivitäten vom gleichen Objekt herrühren und welche zu anderen Objekten im Raum gehören? Wie werden solche Entscheidungen getroffen, wenn es keine übergeordneten Strukturen gibt? Welcher Mechanismus sorgt dafür, dass die Neurone, die an der Kodierung eines bestimmten Objek- tes mitwirken müssen, sich für einen bestimmten zeitraum – so lange, wie dieses Objekt im Fokus der Aufmerksamkeit steht – zu einem Ensemble zusammenschließen? Es scheint, als müssten die Nervenzellen in der Hirnrinde zwei Botschaften gleichzeitig vermitteln. zum einen müssen sie angeben, ob das Merkmal, für das sie zuständig sind – eine bestimmte Kontur oder Farbe oder ein bestimmter Ton – in der Umwelt vorhanden ist. Alle Evidenz spricht dafür, dass sie diese Botschaft dadurch vermitteln, dass sie ihre Entladungsrate er- höhen. Wenn eine Nervenzelle in der Hirnrinde, die auf die Signalisierung vertikaler Kon- turen spezialisiert ist, aktiv wird, dann kommuniziert sie damit für alle anderen, dass sich an einem bestimmten Ort im Gesichtsfeld eine vertikale Kontur befindet. Jetzt muss aber gleichzeitig noch signalisiert werden, in welchem Kontext diese Kontur steht, zu welchem Objekt sie gehört, mit welchen anderen Konturen oder Merkmalen sie in Verbindung ge- bracht werden muss, um die Repräsentation eines kohärenten Objektes aufzubauen. Ein akustisches Neuron, das eine bestimmte Ton-Frequenz kodiert, muss angeben, ob dieser Ton zur Hintergrundsmusik oder zu einer, und wenn ja zu welcher, der sprechenden Personen im Raum gehört. Ein Problem, das bei Cocktailparties ständig auftritt und als Bindungspro- blem bezeichnet wird. Wie dieses Problem gelöst werden könnte, soll im Folgenden kurz dargelegt werden. Durch zufall – und das möchte ich betonen – haben wir am Max-Planck- Institut für Hirnforschung in Frankfurt entdeckt, dass Nervenzellen in der Hirnrinde nicht nur ihre Aktivität erhöhen oder erniedrigen, sondern ihre Entladungen zudem mit ungeahnter Präzision synchronisieren können. Dieses Phänomen wurde bei entwicklungsbiologischen Untersuchungen entdeckt, die eine gänzlich andere zielsetzung hatten, als nach Synchronisation zu suchen. Viele Entdeckungen verdanken sich solchen mehr zufälligen Beobachtungen, die sich im zuge der Suche nach an- derem ergeben. In der Grundlagenforschung ist es nicht möglich, sich amAbend vorzunehmen, am nächsten Tag etwas Bestimmtes zu entdecken. Dies wird zum Problem, wenn die Bewil- ligung von Forschungsgeldern davon abhängig gemacht wird, was der Forscher zu entdecken verspricht. Doch zurück zur Synchronisation. Wir haben also beobachtet, dass Neuronen ihre Entla- dungen synchronisieren können und dass das Maß der Synchronisation völlig unabhängig von der Rate der aktuellen Entladungen erhöht oder erniedrigt werden kann. Ferner erwies sich, dass diese Synchronisationsphänomene vorwiegend dann auftreten, wenn die Neuronen rhyth- misch aktiv sind, also ihreAktivität in einer bestimmten Frequenz oszilliert. Diese Oszillationen können dann synchron werden wie die Schwingungen von Pendeln. Diese Beobachtung legte die Hypothese nahe, dass die Neurone über Synchronisation die Botschaft vermitteln könnten, wer mit wem gerade gemeinsame Sache macht. Neurone, die synchron schwingen, gälten dann als Mitglieder eines kohärenten Ensembles, eines verteilten Ensembles, das ein bestimmtes Objekt repräsentiert, und wären damit von allen anderen, die nicht im gleichen Rhythmus syn- chronisiert sind, unterscheid- und abgrenzbar.Auf die Mechanismen, die dieser Synchronisation zugrunde liegen, und die Frage, warum Synchronisation eine besonders geeignete Variable ist, um zusammengehörigkeit, also exklusive Beziehungen, zu definieren, kann ich hier nicht ein- gehen. Die folgende Abbildung 11 soll jedoch das Phänomen illustrieren. Wer regiert im Kopf? – Philosophische Implikationen der Hirnforschung Nova Acta Leopoldina NF 110, Nr. 377, 325–352 (2011) 345