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Nova Acta Leopoldina Band 110 Nummer 377

Funktionen verwandt wird, die von der Steuerung der Aufmerksamkeit bis zu Lernvorgängen reichen. Von diesen Funktionen will ich abschließend noch eine hervorheben, die medizinisch relevant ist. Hauptanliegen der Hirnforschung ist natürlich neben dem reinen Erkenntnisge- winn über das Organ, das unser Wesen ausmacht, die Aufdeckung der Mechanismen von Fehl- funktionen. Letzteres setzt aber in der Regel voraus, dass zunächst die normalen, neuronalen Prozesse verstanden werden. Sie wissen, dass wir bei der Behandlung von psychiatrischen Erkrankungen wie der Schizophrenie oder der Depression nach wie vor große Probleme haben, da wir die Mechanismen nicht kennen. Die meisten Therapieansätze wurden durch zufall ent- deckt, und viele von ihnen greifen zu kurz oder bekämpfen nur Symptome und nicht das Grundleiden. Wir wissen, dass alle psychischen Erkrankungen, auch die neurotischen Fehl- entwicklungen – wie zwangserkrankungen und posttraumatische Belastungsstörungen – letzt- lich ihr Korrelat in Fehlfunktionen des Gehirns haben müssen. Aber in den meisten Fällen verstehen wir nicht, wo die Fehler liegen. Die Erforschung von Synchronisationsphänomenen hat hier vielleicht geholfen, etwas Licht auf Mechanismen zu werfen, die bei der Schizophrenie gestört sind. Untersuchungen an gesunden Probanden ergaben, dass sich die bewussten und unbewussten Prozesse im Gehirn dadurch unterscheiden, dass die bewussten mit einem viel höheren Maß an Synchronisation im Gehirn einhergehen als die unbewussten. Vieles können wir leisten, ohne uns dessen be- wusst zu sein, z. B. Auto fahren. Wir sehen das Rotlicht, treten auf die Bremse, schalten und bremsen, und unterhalten uns in der zwischenzeit mit unserem Beifahrer. Sinnesreize werden kompetent verarbeitet und in Motorik umgesetzt. Hierfür genügen lokale, seriell ablaufende Gehirnprozesse. Aber, wenn etwas bewusst verarbeitet werden soll, dann muss die Aufmerk- samkeit auf die entsprechenden Prozesse gelenkt werden, und weit verteilte Regionen im Ge- hirn müssen synchronisiert werden, es muss ein globaler Ordnungszustand hergestellt werden. Die Schizophrenie ist von den Alten schon immer beschrieben worden als eine Störung, die dazu führt, dass Gedanken fragmentiert werden, dass bei der Wahrnehmung nicht verbunden wird, was verbunden gehört, und oft verbunden wird, was eigentlich getrennt gehalten werden sollte. Es lag also nahe zu vermuten, dass in schizophrenen Gehirnen irgendetwas mit den Bindungsmechanismen nicht in Ordnung ist. Geht man nun von der Hypothese aus, dass Bin- dungen über zeitliche Synchronisation erfolgen, liegt nahe zu überprüfen, ob Störungen in den Synchronisationsmustern vorliegen. Wir zeigten Patienten und gesunden Probanden Muster wie in Abbildung 15, die als Ge- sicht erkannt werden können. Um dies zu können, müssen Konturen sinnvoll und auf der Basis von sehr viel Vorwissen gebunden werden. Mit Hilfe der Magnetoenzephalographie findet man, wie erwartet, bei der Lösung solcher visuellen Erkennungsaufgaben,Aktivität im hinteren Schädelbereich. Diese Aktivität kann man nun auf ihre Frequenz, Amplitude und Synchronizität hin unter- suchen (Abb. 16). Bei Gesunden findet man eine starke zunahme hochfrequenter Schwingun- gen im 80–100 Hertz-Bereich. Bei chronisch schizophrenen Patienten ist diese zunahme deutlich und signifikant schwächer. Und diese Unterschiede finden sich auch schon bei Pa- tienten, die zum ersten Mal zur Aufnahme kommen und noch nicht mit Medikamenten be- handelt wurden. Misst man dann zusätzlich die Phasensynchronizität zwischen den Aktivitäten über verschiedenen Hirnregionen, wird deutlich, dass diese im Vergleich zu gesunden Pro- banden massiv gestört ist. In Abbildung 17 ist nicht die Amplitude der Schwingung farbig kodiert, sondern die Prä- zision der Synchronisierung. Bei Gesunden ist sie sehr hoch, just zu dem zeitpunkt, an dem Wer regiert im Kopf? – Philosophische Implikationen der Hirnforschung Nova Acta Leopoldina NF 110, Nr. 377, 325–352 (2011) 349