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Nova Acta Leopoldina Band 110 Nummer 377

molekulare Bewegungen, wie die Proteinsynthese16 oder die strukturelle Reorganisation von DNA, finden jedoch im Millisekundenbereich statt. Die Proteinfaltung benötigt mehrere Se- kunden. Je komplexer die biologischen Prozesse werden, desto mehr zeit benötigen sie. Dies reicht bis zu Anpassungen des Organismus an seine Umwelt, oder Entwicklung von Krank- heitsprozessen und Alterung, die viele Jahre in Anspruch nehmen können. Auch im Raum ist das Skalenproblem fulminant. Biologische Prozesse fußen auf chemi- schen Reaktionen, die im submolekularen Bereich stattfinden und quantenmechanische Mo- dellierung erfordern. Letztlich manifestieren sich biologische Prozesse bei komplexeren Organismen jedoch auch im makroskopischen Bereich. Die Physiologie von Organen reicht oft in diese Größenskalen hinein. Eine weitere Stelle, an der wir auf die Modellierung biologischer Prozesse eingegangen sind, ist die Betrachtung der Dynamik von biochemischen Netzen. Hier haben wir es mit er- heblich unterschiedlichen Größenskalen zu tun, da solche Netze häufig Module haben, die in Isolation betrachtet werden können (zum Beispiel die Regulierung des Tag-Nacht-Rhythmus in zellen). Letztlich sind alle solche Komponenten jedoch eng miteinander verzahnt und er- geben ein hochkomplexes globales Netz. Dabei ist auch das Niveau der Modellierung ein ent- scheidender Faktor. Die Modellierung eines biochemischen Netzwerks auf dem Booleschen Schalterniveau kann in bestimmten Fällen, zum Beispiel wenn es um Netze geht, deren Kom- ponenten den Charakter von Schaltern haben, hilfreich sein. Dies ist in Bereichen der Genre- gulation und Signaltransduktion der Fall. Im Allgemeinen haben biochemische Netze jedoch nicht einen rein digitalen, diskreten, sondern auch einen ausgeprägt analogen, kontinuierlichen Charakter und müssen auf detaillierteren Ebenen simuliert werden. Die Modellierung der Dy- namik von biochemischen Netzen ist heute noch auf relativ kleine Systeme fokussiert. Kom- plexere Prozesse, die die ganze zelle betreffen, zu simulieren, ist noch eine große Heraus- forderung. Dazu gehören vor allem auch Prozesse der Homöostase, also des aktiven Erreichens eines neuen intrazellulären Gleichgewichts bei der änderung von Umwelteinflüssen, zum Beispiel bei der Antwort der zelle auf Stress, wie eine änderung der Temperatur, des pH- Wertes usw. Auf den intrazellulären Prozessen bauen Prozesse auf, die ganze Generationsfolgen von zellen betreffen, wie zum Beispiel zelldifferenzierung und Wachstum sowie evolutionäre Pro- zesse der Veränderung von zellen bei der Entstehung von Tumoren, aber auch die Entstehung von Resistenz bei Krankheitserregern. Insbesondere das letzte Phänomen kann allerdings mo- delliert werden, ohne sich auf intrazelluläre Details abzustützen. Hier ist ein rein vergleichen- des Paradigma erfolgreich, dass aus vorhandenen klinischen Daten Muster bei der in der Vergangenheit erfolgten Entwicklung von Resistenz ableitet und diese Muster auf zukünftige Resistenzentwicklungen anwendet. Auf dieser Basis konnte Software entwickelt werden, die heute erfolgreich die Auswahl von medikamentösen Therapien für AIDS-Patienten unterstützt (LENGAUER und SING 2006). Nova Acta Leopoldina NF 110, Nr. 377, 11–44 (2011) Thomas Lengauer 40 16 Eine Animation der Proteinsynthese durch das Ribosom ist unter http://pubs.acs.org/cen/coverstory/ 85/8508cover.html zu finden (vgl.: Clip auf DVD → LENGAUER→ Proteinsynthese). Es handelt sich hierbei nicht um eine Molekulardynamiksimulation, sondern um eine Animation, die aufgeklärte Strukturen von zwischenzuständen mit groben Bewegungssequenzen verbindet. Die Animation unter http://www.pnas.org/ content/102/44/15854/suppl/DC1#M1 stellt eine Molekulardynamiksimulation wesentlicher Reaktionsschritte bei der Proteinsynthese dar (vgl.: Clip auf DVD → LENGAUER→ Proteinsynthese_Molekulardynamik-Simula- tion).