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Nova Acta Leopoldina Band 110 Nummer 377

Offene Probleme sind in den vergangenen Abschnitten reichhaltig angesprochen worden. Eine ausführliche Diskussion heute besonders aktiver Forschungsgebiete findet sich in LENGAUER 2007. Doch schon identifiziert die Forschung eine Vision, gegenüber der die heutigen For- schungsergebnisse wie kleine erste Schritte anmuten, nämlich den „Virtual Physiological Human (VPH)“ (KOHL und NOBLE 2009). Dabei handelt es sich um eine durchgängige ska- lenübergreifende Simulation biologischer Vorgänge im menschlichen Körper. Die zu über- spannenden Skalen reichen hierbei von Molekül über Molekülkomplex, zelle, Gewebe und Organe bis zum Organismus. Die Einflussgrößen, die bei der Simulation zu berücksichtigen sind, umfassend das Genom, das Transkriptom und Epigenom, Proteom und Metabolom, Um- weltparameter chemischer und physikalischer Natur (etwa Temperatur und pH-Wert), sym- biotische mikrobielle Gemeinden wie etwa die mikrobielle Besiedlung der verschiedenen Bereiche des Verdauungstraktes sowie Medikamente und Krankheitserreger. Es ist nur realis- tisch, offen zu bekennen, dass diese Vision etwas Utopisches an sich hat. Während eine solche Vision immer motiviert, tun wir gut daran, im internen und externen Umgang Bescheidenheit walten zu lassen, und uns der Fortschritte zu freuen, die zu erlangen wir in der Tat in der Lage sind. Die größten Herausforderungen bei solchen Fortschritten liegen in folgenden Bereichen: (1.) Die Erhebung zuverlässiger Daten ist ein wesentlicher Engpass. zum einen sind solche Daten notorisch verrauscht. Das liegt nicht nur an den Grenzen der häufig jungen und noch unausgereiften experimentellen Technologie, sondern auch daran, dass die Evolution Varianz als Entwurfsprinzip verwendet. Rauschen in den Daten kann also sowohl tech- nologischer als auch biologischer Herkunft sein. (2.) Die Biologie ist ein Fach, in dem die verwendete Nomenklatur traditionell sehr heterogen ist. In einer zeit, in der massiv und hoch verteilt Daten erhoben werden, fehlt es ebenfalls an anerkannten Standards für Datenqualität und Datenaustausch. Die verfügbaren Onto- logien, die die Grundlage für die Annotationen biologischer Daten bilden, müssen wei- terentwickelt werden, und Normen für „best practice“ bei der Verwendung neuer Technologien müssen geschaffen, erweitert und durchgesetzt werden. (3.) In vielen Bereichen fehlt es an quantitativ präzise beschriebenen Phänotypen. So sucht man zum Beispiel im Bereich der psychiatrischen Erkrankungen derzeit fieberhaft nach quantitativen Biomarkern für Art und Intensität einer Erkrankung, sogenannten Endophä- notypen. Bisher wurden solche Erkrankungen hauptsächlich auf der Basis von Interviews mit den Patienten klassifiziert und bewertet, wohingegen entsprechende quantitative Bio- marker zum Beispiel bei Infektionskrankheiten und einer Reihe von Tumoren bereits vor- liegen. (4.) Die überbrückung von massiven Raum- und zeitskalen ist eine der größten Herausfor- derungen des Gebietes. (5.) Und schließlich muss mit der inhärenten Nicht-Exaktheit der berechneten Modelle geeig- net umgegangen werden. Angesichts dieses überblicks kann man der Modellierung und Simulation von biologischen Systemen eine spannende und in großen Bereichen noch offene zukunft in Aussicht stellen. Nova Acta Leopoldina NF 110, Nr. 377, 11–44 (2011) Thomas Lengauer 42