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Nachricht | Freitag, 16. Dezember 2022

Diskussionspapier regt juristischen Neuansatz zur Notfallvorsorge für Kulturgüter an

Diskussionspapier regt juristischen Neuansatz zur Notfallvorsorge für Kulturgüter an

Ein wirkungsvoller Kulturgutschutz benötigt klare rechtliche Grundlagen, um im Falle von Naturkatastrophen, Bränden oder terroristischen Anschlägen den Erhalt von Kulturgütern zu sichern. In Deutschland gibt es jedoch bisher keine detaillierten, verbindlichen Regelungen, so das Leopoldina-Diskussionspapier „Die rechtlichen Grundlagen der Notfallvorsorge für Kulturgüter“. Die Veröffentlichung bietet einen umfassenden Überblick über die Regelungen des Völkerrechts, des Europarechts sowie über die Gesetze in Deutschland. Die Autorin des Diskussionspapiers legt Argumente für einen kompletten rechtlichen Neuansatz dar.

Das Völkerrecht als überstaatliche Rechtsordnung unterscheidet zwischen dem Kriegsvölkerrecht und dem Friedensvölkerrecht. Demzufolge gibt es auch unterschiedliche Richtlinien für die Notfallvorsorge in Kriegs- oder Friedenszeiten. Im Kriegsvölkerrecht gibt es genaue Vorgaben, wie die Staaten ihre Kulturgüter im Falle eines bewaffneten Konflikts zu schützen haben. In Friedenszeiten können „Notfälle“ wie Naturkatastrophen, Brände oder auch terroristische Angriffe Kulturgüter gefährden. Hier gelten klare und detaillierte Pflichten lediglich für Kulturgüter, die in die Welterbe-Liste eingetragen sind. Für alle anderen Kulturgüter enthält das Friedensvölkerrecht nur allgemeine und unverbindliche Empfehlungen.

Auch das Europarecht schafft für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) keine Pflichten oder verbindlichen Vorgaben zur Ausgestaltung ihrer Notfallvorsorge für Kulturgüter. Die EU hat in den Bereichen Kultur und Katastrophenschutz nur beschränkte Zuständigkeiten. Ähnlich wie das Völkerrecht stuft das Europarecht den Schutz von Kulturgütern vor Katastrophen als Aufgabe der jeweiligen Staaten ein.

In Deutschland sind die wenigen völker- und europarechtlichen Vorgaben bzw. Leitlinien für die Notfallvorsorge für Kulturgüter bislang nicht vollständig und vor allem nicht bundesweit umgesetzt. Die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern erschwert zudem eine klare Aufgabenverteilung. Für Schadensereignisse in Friedenszeiten sind die Länder zuständig. Der in diesem Bereich geltende Katastrophenschutz umfasst zwar auch Vorsorge-, Vorbereitungs- und Planungsmaßnahmen, er kommt jedoch schwerpunktmäßig erst dann zum Zuge, wenn es tatsächlich zu einem Schadensereignis kommt, also bei der Ausrufung des Katastrophenfalls. Vorsorgeaufgaben werden anderen Rechtsgebieten zugeordnet wie dem Brandschutz-, dem Denkmal- und dem Bibliotheksrecht. Oft bleibt die Verantwortung deshalb in den Händen der jeweiligen Kultureinrichtungen bzw. Gefahrenabwehrbehörden, die sich an unverbindlichen Leitlinien orientieren können und sich teilweise aus eigener Initiative zu Notfallverbünden zusammenschließen.

Das Diskussionspapier regt an, den Regelungslücken und -defiziten klar zu begegnen, beispielsweise durch die vollständige und bundesweite Umsetzung der wenigen völker- und europarechtlichen Vorgaben und Leitlinien. Außerdem sollten Zuständigkeiten, Aufgaben, inhaltliche Vorgaben und Handlungsempfehlungen für die Notfallvorsorge gezielt und umfassend zwischen Bund und Ländern sowie zwischen allen Akteuren koordiniert und klar definiert werden.

Die Autorin des Diskussionspapiers „Die rechtlichen Grundlagen der Notfallvorsorge für Kulturgüter“ Kerstin von der Decken ist Professorin für Öffentliches Recht mit Schwerpunkt Völkerrecht, Europarecht und Allgemeine Staatslehre sowie Direktorin des Walther-Schücking-Instituts für Internationales Recht an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Seit Juni 2022 ist sie Justiz- und Gesundheitsministerin des Landes Schleswig-Holstein. Das Diskussionspapier hat sie bereits zuvor fertiggestellt.

Publikationen in der Reihe „Leopoldina-Diskussion“ sind Beiträge der genannten Autorinnen und Autoren. Mit den Diskussionspapieren bietet die Akademie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern die Möglichkeit, flexibel und ohne einen formellen Arbeitsgruppen-Prozess Denkanstöße zu geben oder Diskurse anzuregen und hierfür auch Empfehlungen zu formulieren.

Kerstin von der Decken ist Mitglied der Leopoldina-Arbeitsgruppe „Archäologisches Kulturerbe”, die unter anderem an Publikationen zu Katastrophenvorsorge und Risikomanagement für das kulturelle Erbe, illegalen Ausgrabungen und illegalen Handel arbeitet. Die Arbeitsgruppe veröffentlichte bereits das Diskussionspapier „Spuren unter Wasser – Das kulturelle Erbe in Nord- und Ostsee erforschen und schützen“.