Leopoldina Home Menü

Leopoldina Home

Digitalisierung und Demokratie

Digitalisierung und Demokratie

Grafik: Sisters of Design

Die Digitalisierung spielt für die Demokratie eine immer größere Rolle. Es entstehen neue Möglichkeiten der digitalen Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern. Gleichzeitig können sich jedoch im Internet Falschinformationen rasant verbreiten und etwa zur Meinungsmanipulation bei Wahlen beitragen. Besonders die Praxis der großen Internetplattformen, Inhalte für ihre Nutzerinnen und Nutzer individualisiert zu präsentieren, sollte einer demokratisch legitimierten Kontrolle unterliegen, lautet eine Empfehlung der Wissenschaft.

30 Jahre nach der Einführung des Internets hat die Digitalisierung die demokratische Öffentlichkeit grundlegend verändert. Neben Presse und Rundfunk ist eine Kommunikationsinfrastruktur entstanden, die durch vielfältige Onlinemedien, Soziale Netzwerke, Messenger‐Dienste und Suchmaschinen gekennzeichnet ist. Digitale Plattformen haben neue Möglichkeiten der Information, Kommunikation und Partizipation geschaffen. Zu ihrem Geschäftsmodell gehört ein individuelles Angebot an Inhalten für jede Nutzerin und jeden Nutzer. Obwohl die Selektionsmechanismen der Algorithmen, die für diese individuelle Auswahl sorgen, einen großen Einfluss auf die öffentlichen Informationsströme ausüben, unterliegen sie keiner demokratisch legitimierten Kontrolle. Dies kritisieren Leopoldina, acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften und Union der deutschen Akademien der Wissenschaften in einer gemeinsamen Stellungnahme. Die Wissenschaftsakademien analysieren darin Aspekte des Zusammenspiels von Digitalisierung und Demokratie und formulieren Handlungsempfehlungen zur Gestaltung künftiger Entwicklungen durch Politik, Recht und Zivilgesellschaft.

Mechanismen digitaler Plattformen

Demokratien sind auf mediale Infrastrukturen angewiesen, die einen fairen und offenen Diskurs ermöglichen und Zugang zu vielfältigen und vertrauenswürdigen Informationen bieten. Traditionell bilden Presse- und Rundfunkmedien solche Infrastrukturen. Allerdings spielen Internetplattformen hierbei eine zunehmende Rolle. Im Gegensatz zu den herkömmlichen Massenmedien bieten solche Plattformen in der Regel Inhalte Dritter an, also der Nutzerinnen und Nutzer selbst, journalistischer Medien oder Werbetreibender. Komplexe Algorithmen wählen diese Inhalte beim Besuch einer Plattform individuell aus. Ziel der Plattformbetreiber ist es, die Verweildauer der Personen zu erhöhen, die sich auf ihrer Seite bewegen, und damit Werbeeinnahmen zu generieren. Gleichzeitig werden Daten zum Verhalten der Nutzerinnen und Nutzer ausgewertet, um deren Aufmerksamkeit gezielt lenken zu können.

Zu den Mechanismen vieler Plattformen im Netz gehört sogenanntes Microtargeting. Digitale Dienste werten Daten über ihre Nutzerinnen und Nutzer aus, um Werbeanzeigen individuell platzieren zu können. Microtargeting kann jedoch auch für problematische Zwecke verwendet werden, beispielsweise wenn darüber der Ausgang demokratischer Wahlen beeinflusst wird. Diese Form der Zielgruppenansprache stellt also ein potenzielles Risiko für die politische Selbstbestimmung der Bürgerinnen und Bürger dar. In Deutschland und Europa spielt politisches Microtargeting bisher noch eine vergleichsweise unbedeutende Rolle. Versuche datenbasierter Beeinflussung werden aufgrund fortschreitender Technologien aber voraussichtlich weiter zunehmen.

Smartphones im Alltag und die Bedeutung Sozialer Medien im privaten wie beruflichen Umfeld verstärken die gesellschaftliche Bedeutung digitaler Plattformen. Der Markt wird von wenigen großen Anbietern dominiert, die damit über eine beträchtliche Macht verfügen. Angesichts der zentralen Bedeutung der Plattformen für die demokratische Öffentlichkeit bedarf es dringend einer rechtlichen Regulierung, betonen die Wissenschaftsakademien. Die bestehenden Ansätze zur Verpflichtung der Plattformen, unzulässige Inhalte zu löschen sowie die Kriterien offenzulegen, nach denen Inhalte priorisiert und bestimmten Nutzerinnen und Nutzern präsentiert werden, genügen nicht.

Information und Kommunikation im Netz

Die Digitalisierung erweitert die Möglichkeiten der Informationsbeschaffung und Kommunikation enorm. Das zeigen Beispiele wie die Online-Enzyklopädie Wikipedia und die zunehmende globale Vernetzung durch Soziale Medien. Eine Herausforderung besteht für Nutzerinnen und Nutzer darin, sich im umfangreichen Informationsangebot zurechtzufinden und die Vertrauenswürdigkeit von Quellen richtig einzuschätzen. Falschnachrichten können sich im digitalen Raum rasant verbreiten. Zudem ist bei einem durch Algorithmen beeinflussten Verhalten eine demokratische Auseinandersetzung nur schwer möglich: Insbesondere Menschen mit extremen politischen Ansichten wählen hauptsächlich solche Quellen aus, die ihre eigene, bereits bestehende Meinung stützen. In Sozialen Netzwerken bilden sich Gruppen heraus, deren Mitglieder sich in ihrem homogenen Meinungsbild gegenseitig verstärken – wodurch sich Positionen leichter radikalisieren. Hassrede oder Mobbing im Netz werden aufgrund ihrer großen Zahl nur selten geahndet und können dazu führen, dass die moderate Mehrheit einer demokratischen Öffentlichkeit vor politischem Engagement zurückschreckt.

Hinsichtlich der Prävention und Verfolgung undemokratischer oder herabwürdigender Meinungsäußerungen sowie gezielter Falschinformationen in der digitalen Kommunikation sind die bisherigen gesetzlichen Regelungen und ihre Durchsetzung unzureichend, heißt es in der Akademien-Stellungnahme. Gerade in Bezug auf Falschnachrichten sind plattformunabhängige Werkzeuge erforderlich, die Nutzerinnen und Nutzer unterstützen, Informationen zu erschließen und zu bewerten.

Möglichkeiten demokratischer Partizipation

Internetplattformen bieten neue Chancen für Meinungsaustausch und politische Beteiligung. Bürgerinnen und Bürgern ist es damit möglich, untereinander sowie unmittelbar mit Politikerinnen und Politikern oder mit Medienschaffenden zu kommunizieren. Aktivistinnen und Aktivisten haben es leicht, Kampagnen zu realisieren. Auch Menschen, die bisher kaum eine Chance hatten, sich am öffentlichen Diskurs zu beteiligen, können sich im Netz relativ einfach äußern. Solche Kommunikationsmöglichkeiten eröffnen politische Diskurse quer durch soziale Schichten und Milieus und über geografische Grenzen hinweg.

Digitale Partizipation betrifft auch die aktive Gestaltung von Technologien und Infrastrukturen. So setzt sich die Open Data-Community für einen freien Zugang aller Bürgerinnen und Bürger zu Daten ein – zum Beispiel aus der Verwaltung oder der Wissenschaft. Die Open-Source-Bewegung entwickelt frei verfügbare Software, und die Civic-Technology-Bewegung nutzt solche Daten und Werkzeuge wiederum für digitale Dienste zur Stärkung von Zivilgesellschaft und Demokratie. Eine weitere Neuentwicklung ist die freiwillige Datenspende.