Leopoldina Home Menü

Leopoldina Home

Akademie

Räume der Anschauung – Topographien des Wissens. Anatomische Theater der Frühen Neuzeit zwischen Kunst, Natur und Wissenschaft

Die Emmy Noether Forschungsgruppe untersucht die Rolle Anatomischer Theater als gebauter Räume bei der Ausformung einer wissenschaftlichen Sphäre sowie bei der Durchsetzung epistemologischer Paradigmenwechsel in der Frühen Neuzeit.

Lange Zeit galten Anatomische Theater als Verkörperung evidenzbasierter Forschung, als erstes wissenschaftliches Labor schlechthin. Zergliederungen wurden hier „nicht zum Schein getan“, wie Kadinal Riminaldi 1771 mit Bezug auf die Universität von Ferrara betonte, sondern „mit allem Anstand und mit jenem Ernst, der guten und klugen Studien eigen ist, so dass die Universität als ein heiliger Ort und als Feind aller Profanität und Leichtigkeit betrachtet werden kann.“ Analog sollte auch die Architektur frei von „luxuriösem Ornament und Üppigkeit“ sein. Aus Riminaldis Worten spricht ein aufklärerisches Wissenschafts- und Repräsentationsverständnis, das den Blick auf Räume der Naturwissenschaft nachhaltig prägen sollte und von der Forschung erst in den letzten Jahrzehnten in seiner Geschichtlichkeit explizit benannt wurde. Ganz anders hatte noch der Chronist Tomasini 1654 aus Padua berichtet: Die Teilnahme an einer Zergliederung habe es den Zuschauern hier ermöglicht, „Dinge zu sehen, die den Augen normalerwiese völlig verborgen sind, als ob sie aus der Dunkelheit des Theaters auftauchen“. So waren die Fenster des trichterförmigen Raums zu diesem Zweck zugemauert, die Zuschauerinnen und Zuschauer durch ein labyrinthisches Erschließungssystem an ihre Plätze geführt worden. Die Erwartungshaltungen an Form und Nutzung Anatomischer Theater hatte sich innerhalb von 120 Jahren offensichtlich grundlegend geändert.

Als Teil einer transkulturellen Verflechtungsgeschichte nimmt das Projekt bekannte und weniger bekannte Beispiele aus Europa und Lateinamerika in den Blick, die im Lichte einer Innovationsgeschichte anatomischer Methoden und Entdeckungen im Schatten von Padua und Leiden standen. Dem Narrativ von „zentralen“ und „peripheren“ Orten der Wissenschaft wird eine Erzählung zur Seite gestellt, die das lokale Wirkpotential der Bauten hervorhebt und ihre materielle Präsenz als maßgeblichen Faktor bei der Herausbildung und Durchsetzung spezifischer Menschen- und Gesellschaftsbilder sowie eines europäischen Wissenschaftskonzeptes als universalem Welterklärungs- und Ordnungsmodell versteht.

Projektlaufzeit

11.2023 - 10.2029

Projektleitung

Jun.-Prof. Dr. Christine Beese
Kunstgeschichtliches Institut, Ruhr-Universität Bochum

CONTACT

Leopoldina

Prof. Dr. Rainer Godel

Leiter der Abteilung Zentrum für Wissenschaftsforschung

Phone 0345 - 47 239 - 115
Fax
E-Mail rainer.godel (at)leopoldina.org