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Nova Acta Leopoldina Band 110 Nummer 377

sequenz eines Bakteriums, die Genomsequenz des Menschen. Allerdings wurde der Hochmut des Menschen, der sich gern als Krone der Schöpfung wähnte, empfindlich verletzt: Der Mensch hat nur etwa 25000 Gene, nicht viel mehr als das eben genannte Ackerunkraut A. thaliana, und vom Genom des Menschenaffen unterschiedet sich sein Bauplan nur ganz geringfügig. Auch wenn wir in den Jahren nach 1995 unendlich viel über das Leben aus der verglei- chenden Genomics gelernt haben, wurde, wie eingangs schon erwähnt, doch deutlich: Die Ge- nomsequenz stellt nur den Bauplan des Lebens dar, nicht das Leben selbst. Jetzt ist die sogenannte funktionelle Genomforschung gefragt, das „virtuelle Leben der Gene in das reale Leben der Proteine“ umzuschreiben, denn die Proteine, nicht die Gene, sind die eigentlichen Spieler des Lebens. Damit kann das Genom mit einer Partitur einer Bach-Kantate verglichen werden, während das Proteom diese Partitur zum Klingen bringt. Wenn das Genom eines Or- ganismus relativ stabil ist, ist das Proteom hochgradig flexibel. Die auf die Organismen ein- wirkenden Umweltsignale oder das Differenzierungsprogramm eines höheren Organismus legen fest, welche Gene zum jeweiligen zeitpunkt am jeweiligen Ort aktiv sind und welche nicht. Wir sprechen von differentieller Genexpression, die bei gleichem Genom ganz unter- schiedliche Gene aktivieren kann und damit unterschiedliche Proteine zur Verfügung stellt. Diese verschiedenartigen Proteome bestimmen so unterschiedliche Gestaltungsformen des Lebens wie eine bakterielle zelle oder eine Spore, einen Schmetterling oder eine Raupe oder eine Hirn- bzw. eine Leberzelle. In all diesen Fällen ist das Genom nahezu gleichartig. Die unterschiedlichen Phänotypen werden durch das Spektrum unterschiedlicher Proteine reali- siert. Die Gene, die im Genom angeordnet sind, sagen uns nur, was prinzipiell passieren könnte, die Proteine lehren uns, was wirklich in der zelle passiert. Damit rückte die Analyse der Mechanismen der Regulation der Genexpression, die darüber entscheiden, welche Gene letzten Endes in Proteine umgeschrieben werden, in den Mittelpunkt des Interesses. Wenn man Lebensprozesse in ihrer Vielfalt begreifen will, muss man folglich verstehen, welche Proteine in einer zelle in welcher Konzentration vorkommen, welche Rolle sie im Le- bensprozess spielen, wo sie sich innerhalb oder außerhalb der zelle anordnen, wie sie mitein- ander agieren, sich stimulieren, sich hemmen oder gar zerstören. Das war die Motivation für die Entwicklung der Proteomics mit dem ziel, alle Proteine einer zelle, eines Organismus zu identifizieren, zu quantifizieren und ihr Spiel innerhalb und außerhalb der zelle zu verfolgen als Basis für das Verständnis von komplexen Lebensprozessen. Man kann das Studium der Umschreibung des Bauplans des Lebens in das reale Leben natürlich mit menschlichen zellen beginnen, die zweifellos im Fokus auch solcher Analysen stehen. Der Mensch mit nur 25000 Genen, aber viel, viel mehr Proteinen ist für ein solches Unterfangen jedoch hoffnungslos zu komplex. Einzellige Bakterien sind wegen ihrer geringen Komplexität geradezu ideale Orga- nismen, um diesen Umschreibungsprozess exemplarisch zu studieren und zu verstehen. Nur einige Hundert verschiedene Proteine können das Leben einfacher Organismen ausmachen. Bevor wir auf die Bakterien zurückkommen, sollen zunächst die Methoden der Proteomana- lyse erläutert werden. Nova Acta Leopoldina NF 110, Nr. 377, 143–165 (2011) Michael Hecker 148