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Nova Acta Leopoldina Band 110 Nummer 377

Zusammenfassung Mathematische Modellierung hat einen Vorteil im Unterschied gegenüber experimentellen Techniken: Ein durch Be- weis oder korrekt durchgeführte Computersimulation erhaltenes Resultat ist gültig und bedarf keiner Absicherung durch Wiederholung oder Verfeinerung der Messmethode. In Frage gestellt werden können lediglich die Vorrausset- zungen des Ansatzes oder die Interpretation der Ergebnisse. In der Vergangenheit wurde der Computer zumeist ein- gesetzt, um genauereAuskünfte über einen in groben zügen bereits bekannten Sachverhalt zu bekommen. Die zumeist undurchschaubare Komplexität der meisten, heute aktuellen Probleme legt es nahe und die numerische Leistung der heutigen Rechner ermöglicht es, mit dem Computer auf Entdeckungsreisen zu gehen und Unbekanntes zu finden. Der geschilderte Sachverhalt wird an Hand der Evolutionsbiologie illustriert. Den Anfang machen Beispiele aus der Geschichte, u. a. die durch den Mathematiker und Populationsgenetiker FISHER geglückte Vereinigung des Dar- winschen Prinzips der natürlichen Auslese mit den Vererbungsregeln MENDELS, sie erfolgte zwanzig Jahre vor der Vollendung der synthetischen Theorie, und das Lotka-Volterra-Modell, das den Anfang der theoretischen ökologie markiert. Alan TURING stellte Gleichungen für die chemische Musterbildung auf und vermutete, dass sie bei der ent- wicklungsbiologischen Morphogenese eine Rolle spielen. Die Entdeckung der großen Vielfalt und Variabilität der Muster in allen Bereichen der Biologie war dem Computereinsatz vorbehalten. Eine reaktionskinetische Formulierung der Theorie der Evolution auf molekularer Ebene durch Manfred EIGEN gestattet eine Beschreibung der Rolle von Mutationen bei der Evolution von Molekülen, Viren und Bakterien. Erst durch Computereinsatz wurde es möglich, den durch zu häufige Mutationen bedingten zusammenbruch der Vererbung zu entdecken, der große ähnlichkeit mit einer Phasenumwandlung aufweist. Landschaften wurden schon 1930 von WRIGHT als Metapher zur Erklärung evolutionärer Vorgänge benutzt. Nur durch den Einsatz leistungsfähiger Computer konnten die von den Strukturen der Biomoleküle gebildeten Landschaften erforscht werden. Die Entdeckung der Ur- sachen für Neutralität und Streuung bei Evolutionsvorgängen folgte zwanglos daraus. Spieltheoretische Ansätze und kinetische Differentialgleichungen ermöglichten eine Diskussion der evolutionären Ursprünge von Altruismus und Kooperation. Abstract Mathematical modeling has one advantage over experimental techniques: a result obtained through proof or correctly performed computer simulation is valid and need not be reaffirmed by repeating or refining the method of measure- ment. The only things that can be questioned are the conditions of the approach and the interpretation of the findings. In the past, a computer was often used to obtain more precise information about generally known facts. The unintel- ligible complexity of most current problems demands this and the numeric capacities of today’s computers allow one to go on a voyage of discovery with the computer in search of the unknown. This is illustrated by evolutionary biology. We start with examples from history, including the successful union by the mathematician and population geneticist FISHER of DARWIN’S principles of natural selection with Mendelian in- heritance which occurred twenty years before the synthetic theory was completed, and the Lotka-Volterra model which marked the beginning of theoretical ecology. Alan TURING presented equations for chemical pattern formation and assumed that they played a role in developmental biology’s morphogenesis. The discovery of the large diversity and variability of the patterns in all areas of biology was reserved for the computer. A reaction kinetics theory of molecular level evolution by Manfred EIGEN allows us to describe the role of mutation during the evolution of molecules, viruses and bacteria. Only with the aid of a computer is it possible to discover the breakdown in inheritance through too frequent mutation, which is very similar to phase transition. Landscapes were already used by WRIGHT in 1930 as a metaphor for explaining evolutionary processes. Only by using a high-perfor- mance computer could the landscapes formed by the structures of the bio-molecules be studied. The discovery of the causes of neutrality and diversification during evolutionary processes was the natural result. Applying game theory and kinetic differential equations made discussion on evolutionary origins of altruism and cooperation possible. Nova Acta Leopoldina NF 110, Nr. 377, 167–211 (2011) Peter Schuster 168