Please activate JavaScript!
Please install Adobe Flash Player, click here for download

Nova Acta Leopoldina Band 110 Nummer 377

darauf zielen, Tatbestände und Prozesse mathematisch abzubilden, die sich auf Naturgesetze zurückführen lassen. So versucht man in der Tat, bei der Berechnung von Proteinstrukturen aus der Proteinkette Paradigmen der Energieminimierung einzusetzen. Auf der anderen Seite verbietet die schiere Größe und Komplexität selbst der einfachsten lebenden Organismen eine naturwissenschaftliche Modellierung eines gesamten Organismus, ja sogar einer einzelnen zelle beziehungsweise größerer zellulärer Untereinheiten auf der Basis ihrer Moleküle. Die Anwendung der Naturgesetze bei der Computermodellierung ska- liert also nicht bis auf die Größe der Lebensformen, die es zu untersuchen gilt. Daher müssen wir insbesondere dann, wenn die Größe der betrachteten Systeme ein gewisses Maß über- schreitet, andere Paradigmen als die naturgesetzlichen einsetzen. (Dieser duale Charakter gilt auch für andere Wissenschaften, in der natürlich entstandene komplexe physikochemische Systeme untersucht werden, etwa die Geologie, Geochemie und Klimatologie.) Hier kommt uns zu Hilfe, dass in der Biologie neben der Nutzung der Naturgesetze auch die vergleichende Verwandtschaftsanalyse zum zuge kommen kann. Durch evolutionäre Be- ziehungen zwischen verschiedenen Organismen oder ihren Bausteinen ergeben sich oft we- sentlich informativere Analysen, als sie heute auf der Basis der Naturgesetze möglich sind. Dies kann mit einem Gleichnis verdeutlicht werden. Denken wir an die Aufgabe eines Krimi- nalisten, der versucht, einen Täter zu überführen. Nach unserem heutigen Verständnis sind die Handlungen des Täters letztlich das Ergebnis seines konstitutionellen und vor allen Dingen neuronalen zustandes. Ein naturwissenschaftlicher Versuch, einen Täter zu überführen, würde sich also der Analyse seines körperlichen und neuronalen zustandes auf molekularem Niveau bedienen. Dieser zugang scheitert auch hier daran, dass die naturwissenschaftlichen Methoden nicht auf die Komplexität des gesamten Täters skalieren. Wir können z. B. einzelne Neuronen – zwar nicht auf der molekularen, aber auf einer abstrakteren Ebene – im Rechner modellieren. Die Simulation von größeren Netzwerken von Neuronen liegt jedoch bis heute außer Reich- weite.Also bedient sich der Kriminalist einer anderen, vergleichenden, Methode. Er untersucht die Herkunft des Täters sowie seinen Umgang und versucht, daraus und aus Indizien, die er am Tatort findet, Tathergang und Motiv abzuleiten. Genau dies ist auch die Vorgehensweise der vergleichenden Analysen der Biologie. Wir versuchen z. B., die Struktur und Funktion eines Proteins dadurch zu verstehen, dass wir evolutionär mit ihm eng verwandte Proteine in eine vergleichende Analyse mit einbeziehen. (Mehr dazu im nächsten Abschnitt.) Im Rest dieses Vortrages werden wir sehen, dass beide Paradigmen der Biologie, das na- turwissenschaftliche und das vergleichende, wesentliche Bestandteile der Computermodellie- rung biologischer Systeme sind. Dabei wird heute noch das vergleichende Paradigma wesentlich breiter eingesetzt als das naturwissenschaftliche, vor allem in den oberen Hierar- chieebenen, wo es um die Modellierung sehr komplexer Systeme und zusammenhänge geht. Es steht zu erwarten, dass mit steigender Reifung einiger der beteiligten Wissenschaftsgebiete zunehmend vergleichende Analysen durch dann genauere naturwissenschaftliche Analysen von immer größeren Systemen ersetzt werden können. Wie funktioniert das Leben? Nova Acta Leopoldina NF 110, Nr. 377, 11–44 (2011) 17