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Nova Acta Leopoldina Band 110 Nummer 377

men haben können. Die Marxisten führten ins Treffen, dass durch den wissenschaftlichen Fortschritt die Nahrungsmittelproduktion nahezu beliebig steigerbar wäre, und kritisierten die Malthusschen Vorstellungen als eine bourgeoise Ideologie, um das Elend der Arbeiterklasse zu prolongieren. Das 20. Jahrhundert hat letzten Endes MALTHUS recht gegeben: zwar wurde die Nahrungsmittelproduktion in einem fast unvorstellbarem Ausmaß gesteigert, aber das Wachstum der Weltbevölkerung hat noch mehr zugenommen, und das Problem lässt sich eben nur durch Geburtenkontrolle lösen. 3.2 Eine hypothetische Mathematik der Darwinschen Evolutionstheorie Charles DARWINs Origin of Species (DARWIN 1859) ist, wie schon erwähnt, ebenso wie viele andere grundlegende Werke der Biologie frei von mathematischen Ausdrücken. Hätte DARWIN mathematische Gleichungen zur Modellierung der natürlichen Auslese verwendet, wie hätten diese wohl ausgesehen? Ohne Reduktion auf das für die Selektion Wesentliche undAbstraktion von entbehrlichen Komplikationen im Sinne von GALILEI und NEWTON kann man nicht weit kommen. Die vielleicht wichtigste Vereinfachung ist die Trennung von systemimmanenten Evolutionsprozessen und Einflüssen der Umwelt. Dies führt sogleich auf eine Grundfrage: Bis zur zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde immer wieder angezweifelt, dass Evolution in einer konstanten Umgebung möglich wäre. Die Erfolge der Theorie der Selbstorganisation in Physik und Chemie und die Evolutionsexperimente mit Bakterien (ELENA und LENSKI 2003) und Molekülen (WATTS und SCHWARz 1997, JOyCE 2007) haben diese Frage entschieden. Dies bedeutet nicht, dass die Veränderungen in der Umwelt keinen Einfluss auf die ablaufenden Evolutionsprozesse hätten, aber Selektion und Evolution gibt es auch unter konstanten Be- dingungen. Einen einfachen Vergleich erlauben die Fallgesetze: Der Luftwiderstand hat sehr wohl einen Einfluss auf das Fallen der Körper, aber sie fallen auch im Vakuum – und dann alle gleich schnell. Die Reproduktion von Organismen – auch von Viren und den relativ einfachen Bakterien – ist ein komplexer Vorgang, und bereits die Replikation, das Kopieren, von Nukleinsäuremole- külen ist ein aus sehr vielen Einzelschritten bestehender Prozess (BIEBRICHER et al. 1983, siehe auchAbschnitt 5.2). Wären die Detailkenntnisse dieser Vorgänge für eine quantitative Beschrei- bung der Evolutionsvorgänge unentbehrlich, dann stellte sich jeder Versuch einer Mathemati- sierung als ebenso schwierig heraus wie das Vorhaben, Verallgemeinerungen ohne einen Leitfaden aus einer Fülle von minutiösen Detailbeobachtungen herzuleiten. Den richtigen Leit- faden zu finden, war Charles DARWINs geniale Leistung bei der Erarbeitung seiner Evolutions- theorie. Heute können wir die notwendigen physikalischen Voraussetzungen hinzufügen: – Ein Energie- und/oder Materialfluss muss das evolvierende System davon abhalten, den Gleichgewichtszustand zu erreichen; und – die Reproduktion muss unter Bedingungen ablaufen, unter welchen die Bruttokinetik der Vermehrung durch eine exponentielle Wachstumsfunktion beschrieben werden kann. Die Flussbedingung ist auf dem Planenten Erde im Prinzip leicht zu erfüllen: Das eingestrahlte Sonnenlicht hat eine Temperatur von 5780 K, wie sie der auf Oberfläche der Sonne herrscht, die Erde strahlt Licht mit einer Temperatur von 300 K ab, und dieser Temperaturunterschied kann im Sinne eines Carnotschen Kreisprozesses zur Leistung von Arbeit aller Art verwendet werden (CARNOT 1824). Beispielsweise nutzen die Pflanzen die in den von der Sonne kom- menden Photonen vorhandene Strahlungsenergie zur Erzeugung chemischer Energie in Form Nova Acta Leopoldina NF 110, Nr. 377, 167–211 (2011) Peter Schuster 174