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Nova Acta Leopoldina Band 110 Nummer 377

duktionseffizienz als Folge eines stärkeren Mutationsrückflusses aus einer Mutantenumgebung mit höherer Fitness sein. Der nachteilige Fitnessunterschied wird durch den stärkeren Muta- tionsrückfluss überkompensiert (SCHUSTER und SWETINA 1988). Eine im Jahre 2001 durchge- führte Simulation mit Avida konnte diesen Befund ohne die Annahme einer stationären Population bestätigen (WILKE et al. 2001). Der Mikrobiologe Richard LENSKI ergänzte seine Langzeitevolutionsexperimente mit Escherichia coli-Bakterien durch Simulationen mit Avida, wodurch die In-silico-Evolution besonderen Auftrieb erfuhr (LENSKI 2004). Insbesondere bie- ten die Computerexperimente immer die volle Information über die Verteilung aller Genotypen in einer Population, die zurzeit experimentell nicht erhalten werden kann. Dadurch kann die zeitliche Entwicklung nachteiliger und neutraler Mutanten, welche für ein tiefergehendes Ver- ständnis des Evolutionsmechanismus unentbehrlich ist, direkt im Computerexperiment ver- folgt werden. Ein ungelöstes Problem der Evolutionsforschung betrifft den Ursprung und die evolutionäre zunahme komplexer Eigenschaften und Funktionen. Ohne bereits eine Antwort geben zu können, war es doch mit Hilfe von Computersimulationen möglich zu klären, dass die zunahme an Komplexität keinesfalls mit der zahl der Mutationsschritte korreliert (LENSKI et al. 1999 und 2003; siehe auch Abschnitt 5.2.3). 5.2 Die kinetische Theorie der Evolution Die Voraussetzungen für das Eintreten von Evolution wurden schon im Abschnitt 3.2 aufge- zählt. Wir gehen hier davon aus, dass ein Energie- oder Materialfluss, der das System fern vom Gleichgewichtszustand hält, gegeben ist. Die Suche nach einem möglichst einfachen System, um das Untersuchungsobjekt im Sinne der Physik auf das Wesentliche zu reduzieren, führt un- weigerlich auf die Evolution von RNA-Molekülen im Laborexperiment. Evolution in vitro ist schon vierzig Jahre alt (JOyCE 2007), und die ursprünglich grundlagenorientierten Arbeiten haben biotechnische Anwendungen in der gezielten Synthese von Biomolekülen gefunden (BRAKMANN und JOHNSSON 2002, KLUSSMANN 2006). Die Replikation von RNA-Molekülen im Laborversuch ist ein mit den Methoden der Chemie voll analysierbares evolutionsbefähigtes Experimentalsystem (BIEBRICHER et al. 1983), in welchem die Bedingungen für exponentielles Wachstum präzisiert werden können. Diese bestehen aus einem ausreichend großen Reservoir an aktivierten Bausteinen für die Synthese und einem überschuss an dem für die Replikation benötigten Enzym Qβ-Replikase. Der experimentelle Aufbau für In-vitro-Evolution kann sehr einfach sein und im überimpfen von kleinen Probenmengen in frisches Replikationsmedium bestehen (Serial transfer; SPIEGELMAN 1971) oder höchst komplexe Geräte erfordern, welche eine genaue Konstanz der Reaktionsbedingungen zu erzielen gestatten (WATTS und SCHWARz 1997). Drei Probleme, bei deren Lösung der Computer eine entscheidende Rolle spielte, werden hier als Illustrationsbeispiele näher betrachtet: – die Fehlerfortpflanzung bei fortgesetzter Replikation, – die Gestalt realistischer Fitnesslandschaften und der Ursprung neutraler Varianten und – der stochastische Verlauf der evolutionären Optimierung. 5.2.1 Fehlerfortpflanzung und Fehlerschranke Im Einklang mit den experimentellen Daten wird die Replikation eines RNA-Moleküls durch zwei Schritte modelliert (Abb. 4): Die Nukleinsäure (Xi) bindet an die Replikase und initiiert Nova Acta Leopoldina NF 110, Nr. 377, 167–211 (2011) Peter Schuster 186