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Nova Acta Leopoldina Band 110 Nummer 377

Situation: Fitnesslandschaften werden als ein Spezialfall von Hyperflächen16 verstanden, wel- che in Physik und Chemie standardmäßig zur Trennung von hinreichend langsamen Dynami- ken von den darunter liegenden schnelleren Prozessen verwendet werden. Als Beispiel seien hier nur die Energiehyperflächen der Quantenchemie im Rahmen der Born-Oppenheimer-Nä- herung genannt (CRAMER 2002), auf denen die Bewegungen der Atomkerne getrennt von den Elektronenbewegungen ablaufen. Vorrangige Bedeutung gewann das Konzept der Energie- flächen bei den Ansätzen, die Strukturen der Biopolymeren mit den Methoden der Physik zu verstehen (ONUCHIC et al. 1997). Wir können uns hier auf die wesentlichsten Gesichtspunkte beschränken, da kürzlich ein umfangreicher übersichtsartikel erschienen ist (SCHUSTER 2009). Die Grundlage für das Konzept der Hyperflächen in der Biologie ist der Ansatz, die Funk- tionen von Biopolymeren durch zwei aufeinander folgende Abbildungen zu beschreiben: Sj = Ψ(Xi) fk = Φ(Sj) Sequenz → Struktur → Funktion Die Funktion eines Moleküls oder eines komplexeren Gebildes, beispielsweise die Fitness, ist eine Eigenschaft der molekularen Struktur S, und diese ist ihrerseits durch die Sequenz X be- stimmt. Mathematisch lässt sich dies durch zwei Abbildungen oder mathematische Funktionen, S = Ψ(X) und f = Φ(S), ausdrücken. Als Struktur versteht man hier im Allgemeinen die ther- modynamisch stabile Struktur mit minimaler freier Energie. Im Falle von Biopolymeren, Pro- teinen oder Nukleinsäuren, sind diese Funktionen zum Teil schon bekannt. Ein theoretisch und experimentell besonders gut untersuchtes Beispiel bilden die Sekundärstrukturen von Ribonu- kleinsäuren (SCHUSTER et al. 1994, REIDyS et al. 1997, REIDyS und STADLER 2002, SCHUSTER 2006), deren Abbildungen als Modelle für kompliziertere Fälle dienen können (Abb. 7). Im Fall von Biopolymeren, Nukleinsäuren oder Proteinen, gibt es viele Hinweise, dass ein relativ hoher Anteil der Mutationen keinen oder keinen merkbaren Einfluss auf die Eigen- schaften des Biomoleküls aufweist. Als Beispiel seien die synonymen Codons17 bei der Trans- lation erwähnt. Dies führt in der Folge zu Neutralität gegenüber Selektion (KIMURA 1983, OHTA und GILLESPIE 1996, OHTA 2002), und diese äußert sich in genetischer Drift: In endlichen Populationen kommt es durch die Stochastik der Vermehrung auch in Abwesenheit von Fit- nessdifferenzen zur Anreicherung eines Genotyps, wobei die Auswahl der überlebenden Va- riante zufällig ist, und man spricht dann von zufälliger Fixierung, d. h. Anreicherung bis zu (praktisch) 100 %, eines Genotyps in der Population. Ein einmal fixierter Genotyp wird im Mittel nach einer zeit τ = μ–1 durch einen anderen (zufällig ausgewählten) Genotyp ersetzt, wobei μ die auf das gesamte Genom bezogene Mutationsrate darstellt. Interessanterweise hängt diese zeit für die Ablöse eines Genotyps nicht von der Populationsgröße N ab. Das ge- genwärtige Bild hinsichtlich der Wirksamkeit von Mutationen geht davon aus, dass in einer Spezies, die sich in einem stationären ökosystem befindet, etwa die Hälfte der Mutationen nachteilig sind und durch Selektion eliminiert werden, etwa ebenso viele Mutationen sind neutral, und nur wenige Mutationen sind vorteilhaft und bestimmen die weitere Evolution. Nova Acta Leopoldina NF 110, Nr. 377, 167–211 (2011) Peter Schuster 194 16 Eine Hyperfläche ist das Analogon zu einer Fläche im dreidimensionalen Raum in anderen, praktisch immer hö- heren Dimensionen. 17 Bei der übersetzung von Nukleotidsequenzen der DNA in die Aminosäuresequenzen der Proteine stehen 64 Codons den 20 Aminosäureresten gegenüber. zwangsläufig gibt es daher Redundanz bei der Kodierung. Codons, welche für dieselbe Aminosäure kodieren, werden als synonym bezeichnet.