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Nova Acta Leopoldina Band 110 Nummer 377

sorgt und die Bestimmung elementarer Prozesseinheiten erlaubt (MADLER und PöPPEL 1987, PöPPEL 1970), und einen Integrationsprozess von etwa 2 bis 3 s, der als ein „zeitliches Fenster“ genutzt wird, um Bewusstseinsinhalte sichtbar zu machen. Diese „zeitliche Bühne“ wird vom Gehirn präsemantisch bestimmt, und Erlebnisinhalte werden durch einen Selektionsprozess ausgewählt und in einer subjektiven Gegenwart von jeweils nur wenigen Sekunden repräsen- tiert (PöPPEL 1997, 2009, PöPPEL et al. 1990, SCHLEIDT et al. 1987). Damit Psychisches überhaupt verfügbar sein kann, muss also die Integrität von zwei Be- reichen sicher gestellt sein: Es müssen Inhalte bereitgestellt werden, und es müssen die logis- tischen Voraussetzungen erfüllt sein (VON STEINBüCHEL und PöPPEL 1993). Inhalte können nicht ohne eine funktionierende Logistik verfügbar gemacht werden; aber ohne Inhalte ist die Logistik gleichsam „blind“. Man mag hier an einen Satz von Immanuel KANT aus der Kritik der reinen Vernunft (1781/1787) denken: „Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind.“ Durch diesen Sachverhalt ist das neuropsychologische Modell durch Komplementarität gekennzeichnet, denn Inhalt (das „Was“) und Logistik (das „Wie“) müssen sich ergänzen; das Eine geht nicht ohne das Andere. Doch Komplementarität als generatives Prinzip des Psychischen bezieht sich noch auf einen weiteren, wesentlichen Sachverhalt: Es müssen jeweils Bottom-up- und Top-down-Prozesse miteinander verbunden werden; wiederum geht das Eine nicht ohne das Andere. Bei der Analyse beispielsweise der visuellen Wahrneh- mung wird einerseits die sensorische Reizung benötigt (bottom-up), aber es kommen Selek - tionsmechanismen hinzu (top-down), indem durch die Steuerung der Aufmerksamkeit nicht Beliebiges, sondern nur Wichtiges aus dem sensorischen Feld extrahiert wird (PöPPEL 2006). Neben diesen logistischen Funktionen, die die Bedingung der Möglichkeit von psychischen Inhalten garantieren, gibt es nun noch die zweite Unterklasse, nämlich die der operativen Funktionen. Hierbei können wir uns auf jene Funktionen beziehen, die im „evolutionären Mo- dell“ beschrieben wurden, dass also das Gehirn mit neuronalen Prozessen oder gar Algorith- men ausgestattet ist, die mentale Operationen ermöglichen wie die Bestimmung von Ereignissen, die einen Vergleich zwischen Ereignissen erlauben, indem eine Relation zwischen verschiedenen Repräsentationen aufgebaut wird, die dann zu einer Wahl und einer Entschei- dung führen, und die schließlich eine Handlung initiieren lassen. In dem Komplementaritäts- modell sind alle jene Operationen, die man unter dem Begriff „Denken“ zusammenfasst, operative Funktionen im Dienste der inhaltlichen Funktionen, oder um es konkreter zu sagen, um letzten Endes Absichten durch Handlungen umsetzen zu können. 9.   Schlussfolgerung: Im Zoo von Modellen Der Beginn des Denkens bestimmt den Weg des Denkens (KUHN 1962). Eine gewählte Per- spektive, geschehe dies bewusst oder auf impliziter Ebene, entscheidet darüber, welches Mo- dell bei der Analyse des Psychischen gewählt wird. Wie sich zeigt, kommt man dann zu sehr verschiedenen Modellen, die aber dennoch in den meisten Fällen nicht voneinander unabhän- gig sind, sondern man beobachtet eine überschneidung der Perspektiven. Die Analyse macht deutlich, dass die von Rudolf CARNAP formulierten Kriterien von guten Modellen nicht zu er- füllen sind. Die schwierigste Herausforderung ist die nach der „ähnlichkeit“, da es überhaupt keine übersichtliche Landkarte psychischer Phänomene gibt, sodass die ähnlichkeit nicht überprüft werden kann. Allerdings kann diese Forderung dann erfüllt werden, wenn man sich auf eine beschränkte Auswahl psychischer Phänomene bezieht, die sich von vornherein für Psychologie als eine auf Modelle angewiesene Angelegenheit ohne Taxonomie – eine Polemik Nova Acta Leopoldina NF 110, Nr. 377, 213–233 (2011) 229