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Nova Acta Leopoldina Band 110 Nummer 377

Zusammenfassung Der demographische Wandel ist einer der „Megatrends“ des 21. Jahrhunderts, der die politische, soziale und ökono- mische Situation unseres Landes entscheidend verändern wird. In 25 Jahren wird jeder dritte Bürger Deutschlands über 60 Jahre alt sein. Anteilsmäßig sind dies mehr als doppelt so viele pro Kopf der 20–60-Jährigen wie heute. Die Alterung unserer Gesellschaft hat daher tief greifende Auswirkungen auf die Alters- und Gesundheitsvorsorge. Sie ist zudem eine Herausforderung an unser gesamtes Wirtschaftssystem, an den Arbeitsmarkt, die Produktion und den Kapital- und Immobilienmarkt unseres Landes. Wie können diese Auswirkungen qualitativ verstanden und quantitativ abgeschätzt werden? Die moderne Volkswirtschaftslehre stützt sich sehr stark auf mathematische Modelle, die in der Wirtschaftstheorie entwickelt und deren Parameter mit ökonometrischen Methoden geschätzt (oder „kalibriert“) werden, so dass sie als Simulationsmodelle für wirtschaftspolitische Anwendungen verwendet werden können. Wie in den Naturwissen- schaften braucht man auch in der Volkswirtschaftslehre Modelle, weil die menschliche Vorstellungskraft bei multi- variaten und interdependenten Prozessen nicht ausreicht bzw. zu Fehlschlüssen führt. Beispiele sind die komplexen Rückkopplungsprozesse in der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung oder, weitaus banaler, das Unvermögen fast aller, im Kopf zinseszinsrechnungen auszuführen. Der Wert, aber auch die Grenzen volkswirtschaftlicher Modellierungskunst lassen sich sehr gut am Beispiel des demographischen Wandels verdeutlichen. Wird unser Lebensstandard sinken, weil die zahl der Menschen im er- werbsfähigen Alter zurückgeht? Oder wird der natürliche Produktivitätsfortschritt auch weiterhin für einen steigenden Lebensstandard sorgen? Könnte der bislang „natürliche“ Produktivitätsfortschritt nicht durch die Alterung vermindert oder gar gestoppt werden, weil den Alten die Ideen ausgehen? Oder gibt es einen entgegengesetzten Rückkopplungs- prozess, nach dem die Gesellschaft unter dem Druck der (demographischen) Verhältnisse neue Produktivitätsreserven erschließt? All dies sind beispielhafte Fragen, die man mithilfe von kalibrierten mathematischen Simulationsmodellen zu beantworten versucht. Der Vortrag beschreibt zunächst die Grundstruktur solcher Modelle, schildert dann, welche Daten man benötigt, um sie zu kalibrieren, gibt dann Antworten auf die oben gestellten Fragen und schließt mit einer kritischen Bewertung, was volkswirtschaftliche Modelle leisten können und wo ihre Grenzen liegen. Abstract Demographic change is one of the mega trends of the 21st century that will decisively alter the political, social and economic situation in our country. In 25 years every third German citizen will be over 60. This is proportionately more than double the number of 20 to 60 year olds today. The aging of our society has a profound impact on health and long-term care. It also presents a challenge for our country’s entire economic system, the job market, production and the capital and property markets. How can we qualitatively understand and quantitatively estimate this impact? Modern economics relies heavily on mathematical models developed as part of economic theory, whose parameters are estimated (or “calibrated”) with econometric methods so that they can be used as simulation models when forming economic policy. Just like in natural sciences, models are needed by economics because our power of imagination when it comes to multivariate and interdependent processes is not sufficient or leads to the wrong conclusions. Some examples are the complex feedback mechanisms in macroeconomic development or, on a far more trivial level, the inability of nearly everyone to do interest calculations in their head. The value and the limits of economic modeling can be illustrated well using demographic change as an example. Will our standard of living go down because the number of people of employment age is receding? Or will natural advancement in productivity ensure that our standard of living continues to rise? Could it be that the “natural” ad- vancement in productivity made so far will not go down or even cease due to aging because older people just don’t have ideas? Or is there a reverse feedback mechanism which will force society, under pressure from (demographic) conditions, to develop new productivity reserves? These are all examples of questions whose answers we are attempt- ing to look for with the help of calibrated mathematical simulation models. The talk first describes the basic structure of such models, then presents which data will be needed in order to cal- ibrate them, finds answers to the questions posed above, and concludes with a critical evaluation of what economic models can achieve and where their limits lie. Nova Acta Leopoldina NF 110, Nr. 377, 285–301 (2011) Axel Börsch-Supan 286