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Nova Acta Leopoldina Band 110 Nummer 377

1.   Zur Doppeldeutigkeit von ‚Simulation‘ Das Wort ‚Simulation‘ führt ein augenfälliges Doppelleben: Einerseits ist damit umgangs- sprachlich die ‚Verstellung‘ und das ‚Vortäuschen eines Sachverhaltes‘ gemeint. Von der la- teinischen Begriffsgeschichte herkommend, bedeutet ‚simulatio‘ dann ‚Heuchelei‘ bzw. ‚Verstellung‘ und bezieht sich auf die täuschende Vorspiegelung von etwas, das gar nicht vor- handen ist.1 Denken wir, was es bedeutet, eine Krankheit zu simulieren, statt tatsächlich krank zu sein: Durch die Imitation von Symptomen wird dabei die Erscheinungsform von etwas sug- geriert, das ‚hinter‘ oder ‚unter‘ dieser Erscheinung gar nicht vorhanden ist. Einem Oberflä- chenverhalten korrespondiert keine entsprechende Tiefenstruktur. Andererseits bedeutet seit den 1950er Jahren ‚Simulation‘ die Modellierung dynamischer Systeme durch ein Computer- programm, und diese bildet heute ein zentrales Erkenntnisinstrument der Wissenschaften. Als Herbert A. SIMON den computerbezogenen modelltheoretischen Simulationsbegriff 1956 ein- geführt hat, scheint er zu diesem zeitpunkt von der pejorativen Bedeutung der vortäuschenden Simulation kein Bewusstsein gehabt zu haben.2 Die Semantik von ‚Simulation‘ birgt somit eine merkwürdige Gegensinnigkeit zwischen Vortäuschung und Erkenntnis, zwischen kri- tisch-abschätzigem und positiv-produktivem Sinn. Gibt es nun eine Gelenkstelle, die beide Wortgebräuche miteinander verbindet? Haben die Simulation als ‚Vortäuschung‘ und die Si- mulation als ‚computergenerierte Erkenntnistechnik‘ etwas gemein? Alle Simulationen – ob nun unter positivem oder negativem Vorzeichen – haben etwas mit der Produktion von zeichenwelten zu tun, die zugleich mit dem Anspruch auftreten, dass die Erscheinungsform dieser zeichenwelten der Erscheinungsform der dabei imitierten Welten so ähnelt, dass sie in mancher Hinsicht auch an deren Stelle treten können. Und dies ist von besonderem Interesse, wenn damit die Hoffnung verknüpft ist, dass diese ‚Stellver- tretung‘ einer ‚realen‘ durch eine ‚künstliche‘ Welt kognitiven Interessen dient, insofern anhand der künstlichen Welt zusammenhänge der realen Welt zu erkennen und zu überprüfen sind. Nur weil wir symbolproduzierende Wesen sind, die in der Auseinandersetzung mit sich selbst und ihrer Umwelt eine aus zeichen gewirkte zwischenwelt erschaffen, können solchen semiotischen zwischenwelten auch züge verliehen werden, die beanspruchen, eine ähnlich- keit zum Realen aufzuweisen. ähnlichkeiten zu entdecken, beruht auf einem Urteil. Ob eine ähnlichkeit nun in betrügerischer oder wahrheitssuchender Absicht genutzt wird, ändert nichts daran, dass das Simulieren stets an ein Wissen gebunden bleibt. Allerdings – und dies ist für die weiteren überlegungen entscheidend – bezieht sich dieses Wissen zuerst einmal auf die Kenntnis des Oberflächenverhaltens eines Systems. Bezogen auf die simulierte Krankheit: Es kommt auf das Sichtbarsein der Krankheit, nicht aber auf ihr Verstandessein an. Und ob nun simuliert wird, um zu täuschen oder um Kenntnisse zu erweitern: In jedem Falle müssen wir uns ein Bild der Krankheit machen können. Etwas zu simulieren ist also verknüpft mit der Fähigkeit zur Bildgebung; nicht erst die computergenerierte Simulation ist auf ein Visualisie- rungspotenzial angewiesen. Insofern Simulationen zeichenprozesse sind, mit denen ein Ober- flächenverhalten ohne zugrundeliegende Tiefenstruktur gezeigt wird, gibt jede Simulation stets ‚nur‘ ein Bild vom Simulierten: Denn Bilder sind eben dasjenige, was irgend einen Sachverhalt Simulation und Erkenntnis. Über die Rolle computergenerierter Simulationen in den Wissenschaften Nova Acta Leopoldina NF 110, Nr. 377, 303–322 (2011) 305 1 zum lateinischen Begriffsfeld von similis, similacrum, simulatio, simulator, simulo: DOTzLER 2003. 2 Dazu RöLLER 2008, SIMON 1998.