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Nova Acta Leopoldina Band 110 Nummer 377

rakteristika dieser Springquellen wissenschaftlicher Simulationen beschreiben, auch wenn dies hier nur stichwortartig und äußerst fragmentarisch ausfallen kann. 4.1 Mathematisierung Es ist schon ein Gemeinplatz: Der Aufschwung der neuzeitlichen Wissenschaft verdankt sich der Quantifizierung. Was aber bedeutet es, dass ‚etwas quantifizierbar ist‘? Die Pythagoreer waren noch der Ansicht, dass die zahl in den Dingen selbst residiere, mithin originärer Bestandteil der Wirklichkeit sei. Spätestens mit GALILEI und DESCARTES aber verändert die zahl ihren Status und avanciert zur Form einer ‚universalen Sprache‘: Die zahl bleibt nicht länger ein Bestandteil der Dingwelt, sondern wird zum Attribut des Symbolsystems, in dem die Welt der Dinge zur Darstellung gelangt. Und es ist dieser Sprachcharakter des Mathema- tischen, welcher die neuartige Funktion der Quantifizierung in der Neuzeit ermöglicht und mit welcher die Mathematisierung dann – neben dem Experiment und der systematischen Be- obachtung – beiträgt zur einzigartigen Signatur neuzeitlicher Wissenschaft.7 In ganz unterschiedlicher Weise kommt dieses zu-einer-Sprache-werden des Mathemati- schen zu Geltung. Wir können hier nur einige Schlaglichter auf diesen Vorgang werfen. (1.) Da ist einmal die Verschriftlichung des Rechnens: Während das römische ziffernsystem ein von der zahlensprache getrenntes gegenständliches Hilfsmittel des Rechnens erfor- derlich macht, den Abakus oder ein Rechenbrett, erlaubt das hindu-arabische dezimale Positionssystem, welches in der frühen Neuzeit sich in Mitteleuropa durchsetzte, ein ‚rein schriftliches Rechnen‘, für das nur noch Papier und Bleistift nötig sind. (2.) Die symbolische Algebra (‚Buchstabenalgebra‘) wird erfunden, mit der es erstmals mög- lich wird, Regeln für dasAuflösen von Gleichungen allgemeingültig zu notieren und damit lehr- und lernbar zu machen.8 (3.) René DESCARTES begründet die Analytische Geometrie9 , indem er mithilfe von Koordi- naten Punkte auf zahlenpaare abbildet und damit Figuren in Formeln zu übersetzen und geometrische Konstruktionsaufgaben als Rechenaufgaben zu realisieren vermochte: Die Berechenbarkeit von Kurven löst dann deren geometrische Konstruierbarkeit als Exis- tenzbeweis ab.10 In all diesen Fällen ist die mathematische ‚Sprache‘, um die es jeweils geht, allerdings eine lautsprachenneutrale Schrift: Sie ‚spricht‘ nicht zu den Ohren, vielmehr zu denAugen. Nahezu alle folgenreichen Innovationen der frühneuzeitlichen mathematischen Analysis kreisen um diese neue Symbolisierungsweise, die wir als ‚Kalkülisierung‘ bezeichnen können und deren Mutterboden die alltägliche Rechenpraxis mit Hilfe des dezimalen Positionssystems darstellt. Die Kalkülisierung birgt zwei in Hinblick auf das Verständnis der Simulation wesentliche As- pekte: (1.) Es handelt sich um ein Symbolsystem, das zugleich als eine Technik zum Einsatz kommt. Das dezimale Positionssystem (zusammen mit den Rechenregeln) ist beides in einem: eine Simulation und Erkenntnis. Über die Rolle computergenerierter Simulationen in den Wissenschaften Nova Acta Leopoldina NF 110, Nr. 377, 303–322 (2011) 309 7 Dazu KRäMER 1991a. 8 VIèTE 1970. 9 DESCARTES 1981. 10 KRäMER 1989.