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Nova Acta Leopoldina Band 110 Nummer 377

zahlensprache und ein Rechenwerkzeug. Und es wundert nicht, dass die reale Konstruktion von Rechenmaschinen der Einführung des schriftlichen Rechnens auf dem Fuße folgte.11 Die Kalkülisierung hat übrigens eine folgenreiche Implikation: der Vollzug und die Beschreibung dieses Vollzugs fallen in eins. Wenn wir eine Rechenaufgabe schriftlich notieren und im Medium der Schrift auch lösen, so ist das nicht die Beschreibung einer zahlenoperation, vielmehr deren Ausführung: ziffern algorithmisch zu manipulieren, stellt ein zahlenrechnen nicht bloß dar, sondern ist ein zahlenrechnen. Denn ‚zahl‘ ist, wofür ein zeichen ein- geführt wird, mit dem konsistent operiert werden kann. Was entspricht der ziffer ‚0‘ oder ‚√ — -2‘? Mit den Worten der Philosophen LEIBNIz 12 und LAMBERT 13 , die damit die Eigenart der symbolischen Erkenntnis charakterisierten: Die Operationen mit zeichen treten an die Stelle der Operationen mit den Sachen selbst und dies nicht nur temporär, sondern auf Dauer. (2.) Konstruktion und Interpretation sind voneinander ablösbar. Während die Alltagssprache der Kommunikation – jedenfalls zumeist – eine bedeutungsvolle Sprache ist, gewinnt im Kalkül die Konstruktion einer Symbolkonfiguration eine (gewisse) Unabhängigkeit von ihrer Interpretation. Wir müssen nicht wissen, wie die ziffer ‚0‘ zu interpretieren ist, um mit der Null richtig rechnen zu können. Und wir müssen nicht entscheiden, ob infinitesi- male Größen als potenziell oder aktual unendlich anzusehen sind, um richtig differenzieren und integrieren zu können. Gerade dies sah LEIBNIz explizit als den Vorzug der von ihm eingeführten Differential- und Integralrechnung an.14 Die Richtigkeit der infinitesimalen Rechnung – so drückt er es aus – ist nicht von metaphysischen Streitigkeiten über die ‚Natur‘ des Unendlichen abhängig zu machen. Das Knowing how löst sich vom Knowing that: die ‚episteme‘ erweist sich als eine hoch entwickelte Form der ‚techné‘. Auf der Grundlage formaler Notationen, die sowohl symbolisch wie technisch funktionieren, also kognitive Domänen darstellen und zugleich Problemlösungen innerhalb dieser Domänen auch herstellen können, ist die Mathematisierung auch ein Akt der Technisierung. Kommen wir nun zur zweiten Quelle der Simulation. 4.2 Modellierung Die Verwendung des Modellbegriffes scheint von kaum zu überblickender Vielgestaltigkeit: ein Spielzeugauto, das Modell beim Aktzeichnen, die Konstruktionszeichnung eines Hauses, das Diagramm über Organisationsstrukturen einer Firma, ein Atommodell, Gleichungen für Planetenbahnen, ein Begriffssystem, das die Axiome einer Theorie erfüllt: all dies kann jeweils als ‚Modell‘ charakterisiert werden, und diese Aufzählung ließe sich immer weiter fortsetzen. Gibt es trotz dieser Mannigfaltigkeit so etwas wie eine ‚Familienähnlichkeit‘ zwischen all die- sen Versionen des Modellseins?15 Vier Gesichtspunkte bieten sich dafür an: Nova Acta Leopoldina NF 110, Nr. 377, 303–322 (2011) Sybille Krämer 310 11 Vgl. KRäMER 1988, S. 54ff. Die Medici verwenden ab 1494 die indisch-arabischen ziffern, so dass im 16. Jahr- hundert sich das schriftliche Rechnen in Europa allgemein durchzusetzen begann. Im 17. Jahrhundert werden die ersten mechanischen Rechenmaschinen konstruiert (SCHICKARD, PASCAL, LEIBNIz). 12 Dies entfaltet LEIBNIz in einer Fülle von Texten und Fragmenten im Rahmen seiner Theorie des symbolischen Erkennens; die Belege finden sich in KRäMER 1991b, S. 220ff. 13 LAMBERT 1965 14 LEIBNIz 1965b, IV, 91. Dazu: KRäMER1991b. 15 Grundlegende Werke zur Modelltheorie: BLACK 1962, HESSE 1966, MORRISON und MORGAN 1999, STACHOWIAK 1973.