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Nova Acta Leopoldina Band 110 Nummer 377

Form der ‚operativen Bildlichkeit‘30 eröffnet, die immer auch einen Labor- und Denkraum bereitstellt, der das Formen und Umformen, das Kombinieren und Löschen, kurzum: ein kreatives Experimentieren mit dem jeweils Visualisierten erlaubt. Im zusammenwirken von Auge, Hand und Geist sind die figurativen Inskriptionen die Werkzeuge unserer Geis- tesarbeit: sie sind Denkzeuge. (4.) Abbildung/Konstruktion: So, wie die hingezeichnete Linie sowohl Spur (also Abbild) der Bewegung der Hand ist, wie umgekehrt auch Entwurf einer eigenständigen Welt, die sich von den Vorgaben der Realität weitmöglichst befreien kann, so bewegen sich alle wissen- schaftlichen Visualisierungen im Spannungsfeld zweier Pole. Es ist dies einerseits die ab- bildende, mimetische Wiedergabe und andererseits die auf dem Papier durch kein Gesetz der physischen Welt gebändigte Kraft schöpferischer Neuerzeugung und Erfindung. Jedes raum-zeitlich situierte Phänomen wissenschaftlicher Visualisierung ist daher stets als eine Mischform aus ‚übertragung‘31 und ‚Konstruktion‘ zu verstehen. 4.4 Digitalisierung Ein letzter Schritt bleibt in der Sondierung der Springquellen wissenschaftlicher Simulierung zu tun. Der Computer tritt heute nicht nur als eine – allerdings alle Vorstellungskraft sprengende – schnelle Rechenmaschine auf, sondern als eine ‚Virtualisierungsmaschine‘. ‚Virtuelle Welten‘ sind digitalisierte Datenstrukturen, deren Verarbeitung durch den Computer zweierlei eröffnet: die Möglichkeit zur ‚Verzeitlichung‘ und zur ‚Entmaterialisierung‘ von Symbolstrukturen. (1.) ‚Verzeitlichung‘ bedeutet: In die Datenstrukturen kann zeit implementiert, diese können also dynamisiert werden. Wir kennen das unter dem Begriff der ‚Animierung‘, die das Prinzip der (einprogrammierten) Selbstbewegung unserer zeichenstrukturen bedeutet. Während die uns in früheren zeiten vertrauten symbolischen Welten – ob nun in literari- scher oder bildlicher Form – stabile Anordnungen bilden, die allenfalls durch unsere Ima- gination und Interpretation belebt werden können oder – wie beim bewegten Bild des Films – durch unsere Illusion, ist es jetzt möglich geworden, die räumliche Dimension symbolischer Anordnungen durch eine zeitliche Dimension zu ergänzen. Kraft dieser Ver- zeitlichung von Symbolstrukturen eröffnet sich die Möglichkeit, mit diesen animierten Symbolwelten zu interagieren. (2.) ‚Entmaterialisierung‘ wiederum meint: Die digitalisierten Daten können in beliebige Me- dienformate übertragen werden. Diese so faszinierende wie folgenreiche Intermedialität des Computers beruht gerade darauf, dass die Strukturen und Funktionen von Medien durch Digitalisierung von der ihnen im lebenspraktischen zusammenhang stets zukom- menden Materialität und Körperlichkeit abgelöst werden können. Wenn wir nun die Verzeitlichung und Entmaterialisierung zusammendenken, so können wir sagen: Virtuelle Welten beruhen – gemessen an der uns umgebenden Lebenswelt – einerseits auf der Vereinigung von Struktur mit Zeit und zugleich auf der Trennung von Struktur vom Substrat.32 Simulation und Erkenntnis. Über die Rolle computergenerierter Simulationen in den Wissenschaften Nova Acta Leopoldina NF 110, Nr. 377, 303–322 (2011) 313 30 KRäMER 2009. 31 Die Rehabilitierung der ‚übertragung‘ ist ein ziel der medientheoretischen Auszeichnung der Figur des Boten in KRäMER 2008. 32 SCHRöTER 2004, S. 391.