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Nova Acta Leopoldina Band 110 Nummer 377

Wir können uns diese Einsicht auch noch in einer anderen Perspektive – vom Wortgebrauch ‚virtuell‘ herkommend – verdeutlichen. ‚Virtuell‘ ist ein Begriff der Optik und bezieht sich auf lichtwellentäuschende Bilder. Spiegelbilder sind virtuelle Objekte, insofern sie dem Be- trachter vortäuschen, dass sich die gespiegelten Objekte hinter der Spiegelfläche befinden: Es wird durch Spiegelung also nicht einfach ein zweites Objekt, vielmehr ein zweiter Ort für ein Objekt geschaffen, so dass ganz neue Beobachtungsperspektiven entstehen: Objekte können nun von hinten und vorne betrachtet werden, oder wir können uns selbst mit den Augen der anderen sehen. Allerdings sind Spiegelbilder Abbilder ohne zeichenstatus. Denn Spiegelbilder haben – anders als artifizielle zeichenwelten – keine Autonomie, sondern sind kausal (und eben nicht semiotisch) verknüpft mit dem gespiegelten Objekt: Sie können also nicht als au- tonome Objekte fixiert oder verändert werden – es sei denn durch Manipulationen an den ge- spiegelten Dingen selbst. Stellen wir uns wie in einem Gedankenexperiment einen Spiegel vor, der – abweichend von gewöhnlichen Spiegeln – drei Eigenschaften besitzt: Die Spiegel- welt bekommt den Status einer eigenständigen semiotischen Repräsentation; in sie kann zeit implementiert, sie kann also dynamisiert werden; und schließlich bleibt der Betrachter nicht einfach externer Beobachter, sondern kann zum Teilnehmer der gespiegelten Welt werden. Dass wir den Computer als eine ‚Virtualisierungsmaschine‘ bezeichnet haben, bedeutet dann im Horizont unserer Spiegelmetapher: Der Computer ist ein interaktiver Spiegel dynamisierter Symbolwelten. übrigens lassen wir hier die technischen Bedingungen, die selbstverständlich erfüllt sein müssen, damit Computer als abstrakte, formale Maschinen zugleich in Gestalt machtvoller physikalischer Apparaturen realisierbar sind, unerwähnt. Diese Bedingungen sind in einer Fülle von Veröffentlichungen sondiert.33 Vielleicht zeichnet sich nun ab, wieso Mathematisierung, Modellierung, Visualisierung und Digitalisierungen die ‚Quadriga‘ der computergenerierten Simulation bilden: (1.) Die Mathematisierung macht es möglich, sowohl realweltliche Phänomene – infolge von Messung – wie auch Theorien – infolge von Formalisierung – zu kalkülisieren und ihnen damit eine symbolische Gestalt zu verleihen, die auch technisch bearbeitbar ist. (2.) Die Modellierung macht es möglich, dass mit diesen kalkülisierten Symbolwelten in re- lativer Autonomie so operiert und auch experimentiert werden kann, dass die dabei ge- wonnen Ergebnisse zugleich als Einsichten in jene Vorgänge gelten können, die den Objekt- und Interpretationsbereich der Kalkülisierung bilden. (3.) Die Visualisierung eröffnet die Chance, die unüberschaubar großen Datenmengen in einer für Menschenaugen zu verarbeitenden Gestalt aufzubereiten – und zwar nicht nur in der Präsentation des Endergebnisses, sondern bereits beim experimentellen Umgehen mit den Datenstrukturen. (4.) Die Digitalisierung verwandelt die mathematisierten, modellierten und visualisierten Wel- ten in ‚zeitbasierte‘, also dynamische virtuelle Welten. Dass diese vier Aspekte natürlich nicht als Sukzession zu begreifen sind, sondern ineinander spielen, ist klar – gleichwohl macht es zum Verständnis der Simulation Sinn, diese Aspekte begrifflich auseinanderzuhalten. Nova Acta Leopoldina NF 110, Nr. 377, 303–322 (2011) Sybille Krämer 314 33 Exemplarisch WINKLER 1997, GRAMELSBERGER 2010.