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Nova Acta Leopoldina Band 110 Nummer 377

Abb. 1 Zwischenräume in einem Gittermuster: Schwarze oder weiße Punkte? An dieser Stelle sei darauf verwiesen, wie unvorstellbar komplex die Hirnleistungen sind, die zu Wahrnehmung führen.Auf der Netzhaut IhrerAugen findet sich nichts anderes als eine zwei- dimensionale Verteilung von elektromagnetischen Wellen, die sich in Intensität und Wellen- länge unterscheiden. Dabei ist das Auge nur für einen relativ engen Bereich des Spektrums empfindlich – wir sind blind für alles, was jenseits des Infrarotbereiches liegt. Dafür sind dann die Hautrezeptoren zuständig, und wir empfinden diese langwellige Strahlung dann als Wärme, trennen also scharf zwischen den Modalitäten Wärme und Licht, obgleich es sich in beiden Fällen um die Wahrnehmung der Wirkung elektromagnetischer Wellen handelt. Wir sind auch im ultravioletten Bereich blind – anders als viele Tiere –, und für den ganzen restlichen Bereich der elektromagnetischen Strahlung haben wir überhaupt keine Sensoren. Auf der Netzhaut fin- det sich also diese kontinuierliche Verteilung von Strahlung, und das Gehirn berechnet daraus nun den ganzen Reichtum der visuell wahrnehmbaren Welt. Es muss aus diesem Kontinuum herausfinden, welche Wellenlängen zu welcher Person hier im Raum gehören, welche zu der nächstsitzenden, welche zu der halbverdeckten Person dahinter, welche von den Stühlen kom- men und so weiter und so weiter. Hätte das Gehirn nicht diese Fähigkeit, würden wir überhaupt nichts sehen als diese kontinuierliche Wellenverteilung. Das Gehirn kann diese Segmentie- rungsleistung nur vollbringen, weil es über einen ungeheuren Schatz von Vorwissen über die wahrscheinliche Beschaffenheit der Welt verfügt. Vorwissen, das zum Teil über die Evolution erworben wurde, in der genetisch vorgegebenen Struktur des Gehirns gespeichert ist und dann über Lernprozesse vervollständigt wurde. Mit dem wenigen, was aus der Welt über unsere Sin- nessysteme aufgenommen wird, die nur ein enges Spektrum der möglichen Signale überhaupt kodieren können, synthetisiert unser Gehirn das Reich unserer Wahrnehmungen. Ein einfaches Beispiel verdeutlicht diese konstruktive Leistung. Wir haben in jedem Au- genblick den Eindruck, dass die visuelle Welt um uns scharf gesehen und vollständig gegen- wärtig ist. Dies ist eine Illusion. Wir sehen nur in einem Bereich scharf, der etwa so groß ist wie ein Tennisball in 75 cm Entfernung. Ein wenig weiter peripher, können wir schon nicht Wer regiert im Kopf? – Philosophische Implikationen der Hirnforschung Nova Acta Leopoldina NF 110, Nr. 377, 325–352 (2011) 331