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Foto: Markus Scholz | Leopoldina
Wahljahr: | 2017 |
Sektion: | Ophthalmologie, Oto-Rhino-Laryngologie, Stomatologie |
Stadt: | Hannover |
Land: | Deutschland |
Forschungsschwerpunkte: Auditorische Neurowissenschaften, Neuroprothetik, neuronale Plastizität, Neurophysiologie von Gehörlosigkeit, Cochlea-Implantate
Andrej Kral ist ein deutsch-slowakischer Neurowissenschaftler, der auf dem Gebiet der experimentellen Otologie arbeitet. Als Vorreiter in der Erforschung der Neuroplastizität untersucht er die Anpassung des Gehirns an ein- und zweiseitige Gehörlosigkeit. Mit seinem Team entwickelt er das Cochlea-Implantat weiter und sucht nach weiteren Möglichkeiten der neuronalen Stimulation, auch des zentralen auditorischen Systems.
Das Gebiet der Neuroplastizität umfasst strukturelle und funktionelle Anpassung und Speicherung von Informationen im Gehirn. Bei plastischen Anpassungen werden synaptische Verbindungen neu gebildet, gestärkt oder geschwächt und abgebaut. Neuroplastizität ist besonders in den ersten Lebensjahren des Menschen ausgeprägt, um sensorische Repräsentationen zu etablieren und Sprache und kognitive Funktionen auszubilden. Verbindungen innerhalb und zwischen unterschiedlichen Hörarealen bilden sich durch Erfahrung und ermöglichen eine adäquate Analyse der sensorischen Eingänge. So wird auch eine Vorhersage der sensorischen Eingänge möglich, welche die neuronale Verarbeitung vereinfacht („prädiktive Verarbeitung“).
Andrej Kral konnte zeigen, dass bei Gehörlosigkeit in der frühen Entwicklung diese Verbindungen im Hörsystem der Großhirnrinde sich nicht ausbilden oder schwächer werden kann sowie Verbindungen zwischen Nervenzellen (Synapsen) verloren gehen können. Dies ist der Grund, warum die Therapie von kindlichen Hörschäden an eine frühe kritische Periode gebunden ist. Auch bei einseitiger Gehörlosigkeit verarbeitet dann das Gehirn vor allem die Eingänge vom besser hörenden Ohr, wodurch sich ein „schwächeres“ und ein „stärkeres“ Ohr entwickelt. Dies ist die Folge der hohen juvenilen Plastizität, welche eine spätere Therapie mit Cochlea-Implantaten beeinträchtigt – das „aurale Präferenzsyndrom“ entsteht.
Zudem identifizierte Andrej Kral die Wege, auf denen die Aufgaben des Hörsystems von anderen Sinnessystemen übernommen werden. Durch diese cross-modale Plastizität erfolgt eine adaptive Reorganisation von Neuronen, die die Funktion von zwei oder mehr Sinnessystemen integrieren. Fehlt der auditive Input, dann hilft auch der auditive Kortex bei der visuellen Verarbeitung mit.
Mit Kolleginnen und Kollegen aus USA konnte Kral belegen, dass gehörlose Tiere periphere visuelle Reize besser verarbeiteten als hörende; Taubheit hat dabei die räumliche Aufmerksamkeit auf das periphere Gesichtsfeld erhöht. Auch visuelle Bewegung wird bei Gehörlosen leichter erkannt. Das Gehirn kompensiert offenbar den Hörverlust mit dem visuellen System, indem es die Aufmerksamkeitsressourcen des peripheren Feldes verbessert. Hierbei nutzt das Gehirn für visuelle Verarbeitung die Areale, die bei ähnlichen auditorischen Aufgaben bei Hörenden aktiv sind.
Andrej Kral und sein Team suchen nach Wegen, um diese Defizite auszugleichen und die cross-modale Plastizität optimal zu nutzen, und arbeiten daran, das Cochlea-Implantat, die bisher klinisch erfolgreichsten Neuroprothese, weiter zu entwickeln. Damit hat er wesentlich zu einem vertieften Verständnis der Neuroplastizität des Hörsystems beigetragen. Auf Basis dieser physiologischen Kenntnisse entwickelt sich auch das neue interdisziplinäre Feld der Neuroprothetik, das Medizin, Bio- und Ingenieurwissenschaften integriert.
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