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Foto: Acc. 90-105 - Science Service, Records, 1920s-1970s, Smithsonian Institution Archives

Prof.

Lise Meitner

Wahljahr: 1926
Sektion: Physik
Land: Österreich
CV Lise Meitner - Deutsch (PDF)

Forschung

Lise Meitner war eine österreichische Kernphysikerin. Sie erforschte die Radioaktivität und war an der Entdeckung mehrerer radioaktiver Isotope beteiligt. Zudem lieferte sie Beiträge zum Verständ-nis des Aufbaus von Atomkernen und hatte einen erheblichen Anteil an der Entdeckung der Kern-spaltung. Nach ihr sind der Auger-Meitner-Effekt und das chemische Element Meitnerium benannt. Lise Meitner war 49 Mal für den Nobelpreis nominiert.

Werdegang

Lise Meitner schrieb sich 1901 an der Philosophischen Fakultät der Universität Wien ein, lenkte ihre Ausbildung jedoch durch den Besuch einer Vielzahl an Seminaren in den Bereichen Physik, Mathematik und Chemie früh in eine naturwissenschaftliche Richtung. Einer ihrer Lehrer war der österreichische Physiker und Philosoph Ludwig Boltzmann, mit dessen Tochter Lise Meitner zuvor gemeinsam das externe Abitur in Wien abgelegt hatte. Boltzmann fördert das Ausnahmetalent seiner Studentin.

1906 wurde sie – als landesweit zweite Frau überhaupt – im Fach Physik an der Universität Wien promoviert. Weil ihre Bewerbung im Pariser Labor von Marie Curie abgelehnt wurde, war sie zunächst ein Jahr am Institut für Theoretische Physik der Universität Wien tätig. Dort widmete sie sich der Erforschung der Radioaktivität, einem als sehr innovativ geltenden Bereich der Physik.

1907 wechselte sie nach Berlin, wo sie an der Friedrich-Wilhelms-Universität erstmals auf den deutschen Chemiker Otto Hahn traf. Bis zur Aufhebung des in Preußen noch herrschenden Studienverbots für Frauen im Jahr 1909 durfte sie dort offiziell weder Hörsäle noch Labore betreten. Ihre Experimente führte sie in einem Kellerraum des Instituts durch. Trotz dieser Widrigkeiten schätzte sie die Möglichkeit, frei zu arbeiten und experimentierte mit Alpha- und Beta-Strahlen sowie mit radioaktiven Elementen. Finanziell hielt sie sich mit Zuwendungen ihrer Eltern über Wasser.

1909 entdeckte Otto Hahn den radioaktiven Rückstoß. Mit einer daraus resultierenden Methode fanden Hahn und Lise Meitner in den Folgejahren diverse radioaktive Nuklide. Dadurch wurde auch Meitner in ihrem Fach bekannter und lernte Albert Einstein und Marie Curie persönlich kennen.

Von 1912 bis 1915 war sie inoffiziell als Assistentin im Labor des Physikers Max Planck tätig. 1913 wurde sie als erste Frau zum Wissenschaftlichen Mitglied der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft ernannt. Sie arbeitete weiterhin eng mit Otto Hahn zusammen, der bereits ein Jahr zuvor am neu gegründeten Kaiser-Wilhelm-Institut in Berlin-Dahlem die Forschungsabteilung für Radioaktivität aufgebaut hatte.

Während des Ersten Weltkriegs musste sie ihre Forschungen unterbrechen und ließ sie sich zur Röntgenassistentin ausbilden. 1915/16 war sie in einem Lazarett der österreichischen Armee eingesetzt. Nach ihrer Rückkehr im Oktober 1916 widmete sie sich wieder ihrer gemeinsamen Forschungsarbeit mit Otto Hahn.

1918 wurde ihr am Berliner Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie die Leitung der radiophysikalischen Abteilung übertragen. Damit war sie zugleich die erste von insgesamt 14 Abteilungsleiterinnen in der Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft.

1922 erhielt sie als erste Physikerin in Deutschland die Venia legendi für Physik. Im gleichen Jahr entdeckte sie den auch mit nach ihr benannten Auger-Meitner-Effekt. Sie beschrieb dieses Phänomen unabhängig und vier Jahre vor ihrem französischen Kollegen Pierre Auger, jedoch wurde ihre Arbeit wenig beachtet.

1926 wurde Lise Meitner als erste Frau in Deutschland Außerordentliche Professorin für experimentelle Kernphysik an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität. 1933 wurde ihr aufgrund ihrer jüdischen Wurzeln die Lehrerlaubnis entzogen. Die juristische Grundlage für diese Entscheidung lieferte das im April 1933 erlassene Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums, das jüdischen Menschen verbot, in einem Dienstverhältnis mit dem Staat zu stehen. Meitner durfte ihre Arbeit nun lediglich noch am nichtstaatlichen Kaiser-Wilhelm-Institut fortsetzen. Dort suchte sie vor allem in den Jahren 1935 bis 1938 gemeinsam mit Otto Hahn und seinem Assistenten Fritz Strassmann nach
Transuranen. Der Impuls zu diesen Arbeiten ging wesentlich von Lise Meitner aus.

1938 wurde die Situation für Meitner aufgrund der politischen Verhältnisse in Deutschland zunehmend schwierig und so reiste sie illegal nach Schweden, wo sie auf Vermittlung des dänischen Physikers Niels Bohr im Nobel-Institut für experimentelle Physik in Stockholm unterkam. Dort konnte sie zwar ihre Forschungen fortsetzen, doch die Bedingungen waren deutlich schlechter als zuvor: Meitner bekam keine Assistenten und auch die finanzielle Ausstattung ihrer Stelle ließ zu wünschen übrig. Trotz dieser Widrigkeiten schlug sie das Angebot aus den USA zur Mitarbeit beim Manhattan-Projekt in Los Alamos aus. Während ihrer gesamten Zeit in Schweden korrespondierte sie weiter eng mit Otto Hahn.

Ende 1938 erbrachten Hahn und sein Mitarbeiter Fritz Straßmann in Berlin den experimentellen Beweis für die Kernspaltung. Die dafür notwendige Versuchsreihe sowie die Apparatur hatte Lise Meitner vorgeschlagen. Zuvor hatte sie bereits gemeinsam mit ihrem Neffen, dem Kernphysiker Otto Frisch, die theoretische Deutung der Kernspaltung geliefert.

Mit dieser Arbeit wurde das Atomzeitalter eingeläutet. Obwohl Lise Meitner an diesen Forschungen einen erheblichen Anteil hatte, wurden 1944 lediglich Otto Hahn und Fritz Straßmann für die Entdeckung der Kernspaltung des Urans und des Thoriums mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet. Lise Meitner hat sich dazu nie öffentlich negativ positioniert. In der Wissenschaft wurde später mehrfach die Meinung geäußert, Meitner habe den Nobelpreis genauso wie Otto Hahn und Fritz Straßmann verdient. Der Wissenschaftshistoriker und Physiker Ernst Peter Fischer sprach 2008 – dem Jahr der 70. Wiederkehr der Entdeckung der Kernspaltung – von einer „Dummheit der schwedischen Akademie“, Meitner beim Nobelpreis übergangen zu haben.

1947 übernahm Meitner die Leitung der Abteilung für Kernphysik des Physikalischen Instituts der Königlichen Technischen Hochschule (KTH) in Stockholm. Außerdem hatte sie Gastprofessuren in den Vereinigten Staaten inne.

1960 wurde sie emeritiert. Sie zog nach Cambridge, wo auch ihr Neffe Otto Frisch forschte. Dort setzte sie sich bis zu ihrem Tod fortwährend für die friedliche Nutzung der Kernspaltung ein.

Auszeichnungen und Mitgliedschaften

Für ihre Forschungsarbeiten erhielt Lise Meitner zahlreiche Auszeichnungen, darunter die Leibniz-Medaille der Königlich-Preußischen Akademie der Wissenschaften Berlin (1924), den Ignaz-L.-Lieben-Preis der Österreichischen Akademie der Wissenschaften Wien (1925), den Ehrenpreis der Stadt Wien für Wissenschaft (1947), die Max-Planck-Medaille der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (1949), den Otto-Hahn-Preis für Chemie und Physik (1955), die Wilhelm-Exner-Medaille der Wilhelm-Exner-Stiftung des Österreichischen Gewerbevereins (1960), die Dorothea-Schlözer-Medaille der Georg-August-Universität Göttingen (1962), den Enrico-Fermi-Preis der US-amerikanischen Atomenergie-Kommission (1966) sowie das Österreichische Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst (1967).

Akademien und wissenschaftliche Vereinigungen aus aller Welt verliehen ihr die Mitgliedschaft, darunter die Akademie der Naturforscher Leopoldina sowie die Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen (beide 1926), die Österreichische Akademie der Wissenschaften, deren erstes weibliches Mitglied Meitner wurde (1948), die britische Royal Society (1955) und die American Academy of Arts and Sciences (1960) in den USA. Zudem wurde sie in Orden Pour le Mérite für Wissenschaften und Künste aufgenommen (1956), der unter der Schirmherrschaft des deutschen Bundespräsidenten steht.

Darüber hinaus verliehen ihr mehrere Universitäten die Ehrendoktorwürde, darunter die Freie Universität Berlin (1956) und sowie der Universitäten in Stockholm und Northampton.

Zur Person

Lise Meitner kam am 7. November (andere Quellen zufolge am 17. November) 1878 als drittes von acht Kindern des Rechtsanwalts Philipp Meitner und seiner Frau Hedwig Meitner-Skovran in Wien zur Welt. Sie hatte zwei ältere und zwei jüngere Schwestern sowie drei jüngere Brüder. Ihr Vater war jüdischer Religion, galt jedoch als Freidenker. Lise konvertierte später zum Protestantismus.

Sie wuchs in einem jüdisch geprägten Umfeld auf. Musik spielte in der Familie eine große Rolle, und so lernte auch Lise Klavierspielen. Darüber hinaus begeisterte sie sich früh für Mathematik und wurde zum Teil von Privatlehrern unterrichtet.

Weil Mädchen auf höheren Schulen nicht zugelassen waren, konnte sie lediglich bis zu ihrem 14. Lebensjahr eine Bürgerschule besuchen. Nach dem Abschluss bereitete sie sich im Selbststudium auf die Matura vor. 1901 legte sie als externe Schülerin am Akademischen Gymnasium Wien die Reifeprüfung ab. Ihrem Wunsch nach einem Physikstudium kamen die Eltern zunächst nicht nach. So legte Lise Meitner zunächst ein Lehrer-Examen für das Fach Französisch ab – ein Abschluss, den sie später mit dem Satz „Ich verlor wertvolle Jahre“ umschrieb.

Nach ihrer Flucht aus dem nationalsozialistischen Deutschland erhielt sie 1949 die schwedische Staatsbürgerschaft. 1960 siedelte ins britische Cambridge über, wo die meisten Mitglieder ihrer Familie lebten.

Lise Meitner setzte sich bis zu ihrem Tod für die friedliche Nutzung der Kernspaltung ein. Sie blieb ihrem Forscherkollegen Otto Hahn lebenslang verbunden. Beleg dafür lieferte sie unter anderem 1959 durch ihre öffentliche Gratulation zu Hahns 80. Geburtstag. Hierzu war sie eigens nach Göttingen gereist. Ihre Glückwünsche formulierte sie mit den Worten „In alter Freundschaft, Deine Lise“.

Wissenschaftshistoriker wie die US-Amerikanerin Ruth Lewin Sime verweisen darauf, dass die Rolle Lise Meitners in der Zusammenarbeit mit Otto Hahn generell und viel zu lange auf die einer bloßen Mitarbeiterin reduziert worden sei. Inzwischen besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass Meitner in Bezug sowohl auf dieses Projekt als auch auf ihre gesamte wissenschaftliche Karriere aufgrund ihrer jüdischen Herkunft und ihres Geschlechts erhebliche Nachteile in Kauf nehmen musste.

Lise Meitner war ledig und kinderlos. In ihren Lebenserinnerungen schrieb die damals 85-Jährige: „Dass das Leben nicht immer einfach war, dafür sorgten der Erste und Zweite Weltkrieg und ihre Folgen. Aber für die Tatsache, dass es wirklich ausgefüllt war, habe ich der wunderbaren Entwicklung der Physik und den großen liebenswürdigen Persönlichkeiten zu danken, mit denen ich durch meine physikalische Arbeit in Berührung kam.“

Mehrere Forschungseinrichtungen und Gebäude erhielten ihren Namen, darunter 2003 der Neubau des Instituts für Physik der Berliner Humboldt-Universität (Lise-Meitner-Haus) sowie 2008 das ABC-Abwehrzentrum „Lise Meitner“ des Österreichischen Bundesheers in Korneuburg (Weinviertel).

Außerdem wurde 2010 das Gebäude des einstigen Kaiser-Wilhelm-Instituts für Chemie, in dem Meitner früher tätig war, in Hahn-Meitner-Bau umbenannt.

Bereits seit 1959 existierte in Berlin Wannsee das Hahn-Meitner-Institut für Kernforschung (HMI), das in Anwesenheit der beiden Forschenden durch den Regierenden Bürgermeister der Stadt, Willy Brandt, eingeweiht worden war. Die Einrichtung wurde 2008 in Helmholtz-Zentrum Berlin für Materialien und Energie umbenannt.

Im Gedenken an Lise Meitner wurden Preise benannt, darunter der Lise-Meitner-Preis für Kernphysik der Europäischen Physikalischen Gesellschaft und der Lise-Meitner-Literaturpreis. Seit 2018 fördert die Max-Planck-Gesellschaft junge Frauen in der Wissenschaft mit dem Lise-Meitner-Exzellenzprogramm.

Mehrere Himmelskörper tragen den Namen Lise Meitner: ein Mondkrater (1970), ein Asterioid (1977) und ein Venuskrater (1979).

Lise Meitner starb am 27. Oktober 1968, nur drei Monate nach dem Tod von Otto Hahn, im Alter von 89 Jahren in Cambridge. Sie wurde in der Ortschaft Bramley in Hampshire beigesetzt.

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