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Nachricht | Donnerstag, 21. März 2019

Interviews zum „Forum Future Europe“

Was sind für Sie die größten Herausforderungen für die Zukunftsfähigkeit des Europäischen Forschungsraums und was sind Ihre Erwartungen zum „Horizont Europa“?

Dr. Jana Kolar, Chemikerin, Direktorin des Zentraleuropäischen Forschungsinfrastrukturkonsortium CERIC-ERIC, Wissenschaftsmanagerin und Beraterin der EU-Kommission für die Einrichtung des Europäischen Innovationsrat:

Ich bin überzeugt, dass wir mehr Europa in der Forschung und Innovation brauchen. Einfach gesagt: Wir brauchen ein größeres gemeinsames Programm und ein funktionierender Europäischer Forschungsraum, wo Restriktionen durch administrative Systeme den Weg für Top-Leistungen nicht versperren. Wir müssen das Reichtum und Diversität der Fachpolitiken besser nutzen und gemeinsam mehr auf die Schließung der Innovationskluft innerhalb Europas achten. Das wird uns allen zugutekommen. Paneuropäische Forschungsinfrastrukturen, die einen offenen, leistungsabhängigen Zugang zu führenden Wissenschaftseinrichtungen ermöglichen flankiert durch Maßnahmen zur Unterstützung weniger starker Nutzer sind ein guter Weg dafür. „Horizont Europa“ ist ein gut konzipiert. Dennoch sind Verbesserungen notwendig. Ich erwarte ein großes Budget, um mit gesellschaftlichen Herausforderungen umgehen zu können und die Forschungsexzellenz und das Wachstum von innovativen Unternehmen zu fördern. Ich hoffe, dass in den aktuellen Verhandlungen der Europäische Innovationsrat einige Kernideen beibehält, die von der Hochrangigen Gruppe der Innovatoren entwickelt wurden. Zudem ist es außerordentlich wichtig, die Synergien bei der Nutzung der EU-Struktur-, Investitions- und Forschungsfonds zu erweitern.

Prof. Dr. Tarmo Soomere, Computer- und Ingenieurwissenschaftler, Präsident der Estnischen Akademie der Wissenschaften, Professor für Küsten- und Geoengineering an der Technischen Universität Tallin:

Idealerweise soll die öffentliche Hand etwa ein Prozent und die Privatwirtschaft mindestens zwei Prozent des BIP für Forschung und Innovation ausgeben. Die Fähigkeit der Wirtschaft, sämtliche Forschungsergebnisse in Wohlstand umzuwandeln ist einer der stärksten Wettbewerbspfeiler jeden Landes. Hier sehen wir ein großes Missverhältnis innerhalb der EU. Im europäischen Durchschnitt liegt der Anteil der privatfinanzierten Forschung bei etwa 50 Prozent. Aber in vielen EU-Ländern, vor allem in Osteuropa, liegt er bei 10 Prozent. oder weniger Deshalb ist eine starke und exzellente privatfinanzierte Forschung nutzbringend für ein Land. Das Potenzial der Forschung kann sich am besten dort entfalten, wo es „Wissensverbraucher“ gibt, die genau wissen, was sie mit Wissen leisten können. Bezüglich “Horizont Europa” steht für mich fest: eine Kette ist so stark wie ihr schwächstes Glied. Die Wissenschaftler beweisen ihre beste Leistung in einer Kombination v.a. folgender Bedingungen: eine exzellente Forschungsinfrastruktur, ein lebenswürdiger und familienfreundlicher „Ökosystem der Arbeit“ und die Möglichkeit, ihre Muttersprache(n) extensiv nutzen zu können, nicht zwangsläufig im Job. Der „Brain Drain“ reflektiert, zumindest in Teilen, den abstoßenden Charakter des lokalen und nationalen Zustandes dieser Bedingungen. Wenn wir eine global wettbewerbsfähige europäische Wissenschaft wollen, dann ist es ein Gebot, die Bedingungen Infrastruktur und Arbeitswelt auf einen wirklich vergleichbaren Level EU-weit zu bringen.