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Nachricht │ Mittwoch, 21. August 2013

Schnelles Denken, langsames Denken

Vortrag von Nobelpreisträger Daniel Kahneman an der Leopoldina

Schnelles Denken, langsames Denken

Bild: Daniel Kahneman (privat).

Der israelisch-amerikanische Psychologe Daniel Kahneman, geboren 1934 in Tel Aviv, hat im Jahr 2002 den Wirtschaftsnobelpreis verliehen bekommen. Am Freitag, 20. September, um 20 Uhr, hält er den Abendvortrag zur Leopoldina-Jahresversammlung 2013 in Halle (Saale). Er spricht über sein Buch „Thinking, Fast and Slow“, in dem er zwei Systeme des Denkens identifiziert, die die Urteilsfähigkeit bei der Findung von Entscheidungen beeinflussen. System 1 steht für das schnelle intuitive und emotionale Denken, während System 2 langsamer funktioniert, Dinge durchdenkt sowie rationaler und logischer arbeitet.

Caroline Wichmann fragte den Nobelpreisträger, welche Rolle die beiden Denksysteme bei der wissenschaftsbasierten Beratung von Politik und bei der Kommunikation von Risiken spielen:

Professor Kahneman, die deutsche Nationalakademie Leopoldina ist mit der wissenschaftsbasierten Politikberatung beauftragt. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die für politische Entscheidungen aufbereitet und zur Verfügung gestellt werden, sollten dafür eine möglichst objektive und rationale Grundlage schaffen. Steht diesem Vorgehen nicht Ihr System 1 diametral entgegen?

Die Wissenschaft folgt eindeutigen Regeln, die auf objektiver, sichtbarer Beweisführung und logischer Schlussfolgerung beruhen. Diese Regeln erfordern eine durchdachte und rationale geistige Herangehensweise, die das intuitive Denken, das ich mit dem Typ 1 oder System 1 assoziiere, nicht leisten kann. Dennoch spielt das intuitive und emotionale Denken eine wichtige Rolle in der wissenschaftlichen Forschung, die ja auch eine leidenschaftliche und kreative Seite hat.

Professor Kahneman, wissenschaftliches Wissen existiert nur im Modus ständiger Bezweifelbarkeit und prinzipieller Widerlegbarkeit. Themen, wie zum Beispiel der Klimawandel oder die Vorhersage von Vulkanausbrüchen, erfordern eine sorgfältige Identifikation, Bewertung und schließlich Kommunikation der Risiken, die damit verbunden sein können. Hier stößt  doch sogar Ihr System 2 an seine Grenzen? Und welche Rolle übernimmt dann System 1?

Wissenschaftler müssen erkennen, dass ihr Ideal der Wissensgewinnung durch reine, objektive Beweisführung nicht die einzige Möglichkeit darstellt, das Gefühl einer subjektiven Gewissheit zu erreichen, das wir „Wissen“ nennen. Die subjektive Erfahrung der Gewissheit geht mit einer Geisteshaltung einher, die keine anderen als die eigenen Überzeugungen in Betracht zieht und Mehrdeutigkeiten als unmöglich ablehnt. Überzeugungen, die wir mit Menschen teilen, denen wir trauen und die wir lieben, können zu subjektiven Gewissheiten werden. Hierin, und nicht in einer wissenschaftlichen Beweisführung, hat auch die Gewissheit ihren Ursprung, mit der Menschen religiöse und politische Überzeugungen vertreten. Der innere Zusammenhang dieser Überzeugungen ist nicht logisch, sondern assoziativ und emotional. Objektive Beweise haben wenig Einfluss auf Überzeugungen, die in gemeinschaftlichen Normen wurzeln. Ob es einen durch den Menschen verursachten Klimawandel gibt oder nicht, ist zumindest in den USA für die meisten Menschen eine Frage der persönlichen Überzeugung, nicht der objektiven Beweislage. Um auf diesem Gebiet koordiniertes öffentliches Handeln zu erreichen, muss man die Intuition und Emotionen der Menschen ansprechen, also das System 1. Mit Beweisen allein lässt sich hier kaum eine Veränderung herbeiführen.

Das Interview wird in einer druckfähigen Fassung in der kommenden Ausgabe 03|2013 von Leopoldina aktuell erscheinen.