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Pressemitteilung | Donnerstag, 7. Dezember 2000

Presseinformation 16/2000

Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina fordert nachhaltig wissenschaftlich begründete, strategische Bekämpfungsmaßnahmen gegen BSE. Neue "Europäische Lebensmittelbehörde" und unabhängige Veterinärdienste dringend notwendig

Wissenschaftler der Akademie Leopoldina sind der Auffassung, dass zur Bekämpfung der BSE eine verbesserte und international koordinierte Tierseuchenbekämpfung erforderlich ist, die unabhängig von nationalstaatlichen Vorgaben durchgeführt werden kann. Die Akademie Leopoldina fordert dazu die baldige Etablierung und Aktivierung der von der EU geplanten zentralen "Europäischen Lebensmittelbehörde". Diese sollte in der Lage sein, rasch und mit modernsten Methoden europaweit Krankheitsausbrüche aufzuklären, Daten zentral zu sammeln und auszuwerten, als neutraler Gutachter zu wirken, die Kooperation zwischen den nationalen Stellen zu koordinieren und damit umgehend und politikneutral auf neue Herausforderungen zu reagieren. Außerdem wird eine größere Unabhängigkeit der obersten staatlichen Veterinärdienste gefordert.

Um den Verbraucher vor Krankheitsrisiken zu schützen, wird die Lebensmittelgewinnung und -verarbeitung aufgrund der geltenden Rechtslage ständig überwacht. Das Auftreten der durch eine neue Gruppe von Erregern (Prionen) verursachten BSE-Seuche hat allerdings gezeigt, dass zum Schutz der Verbraucher neue und nachhaltige Maßnahmen in Ergänzung zu den derzeit vorgeschriebenen erforderlich sind. Dazu gehört unter anderem die Testung bestimmter Gruppen von Schlachtrindern auf BSE. Darüber hinaus sind auch strukturelle Maßnahmen notwendig. Eine zentrale Forderung der Akademie Leopoldina ist die möglichst rasche Einrichtung und Aktivierung der von der EU geplanten zentralen "Europäischen Lebensmittelbehörde", die unabhängig von Weisungen nationaler Ministerien oder Behörden und europäischer Gremien in eigener Kompetenz im oben erwähnten Sinne tätig sein sollte. In Kooperation mit dem Internationalen Tierseuchenamt in Paris (Office International des Epizooties) und anderen Behörden sollte diese "Europäische Lebensmittelbehörde" Maßnahmen zur verbesserten Bekämpfung der BSE und anderer Tierseuchen im "grenzenlosen" Europa ausarbeiten.

In vielen Ländern Europas sind die obersten Veterinärdienste ganz oder teilweise den Ministerien für Landwirtschaft unterstellt, die in erster Linie die wirtschaftlichen Interessen der Landwirtschaft vertreten und dadurch leicht in Konflikt mit dem Verbraucherschutz geraten können. Daher fordert die Leopoldina die Stärkung der Aufsicht über den gesamten Bereich der Lebensmittelproduktion und –verarbeitung durch unabhängige Veterinär- und Lebensmittelbehörden sowie Untersuchungsinstitute, deren personelle und technische Ausrüstung den Erfordernissen anzupassen ist.

Ohne Intensivierung der Forschung werden die neuen Herausforderungen nicht zu bewältigen sein, befürchten Mitglieder der Sektion Veterinärmedizin der Akademie Leopoldina. In den letzten Jahren ist die Forschung an vielen Veterinärmedizinischen Fakultäten europäischer Ländern jedoch durch erhöhte administrative Aufwendungen, hohe Belastungen in der Lehre und Kürzungen von Finanzmitteln eingeschränkt worden. Die Bewältigung von BSE und anderer Seuchen erfordert aber langfristig eine hoch stehende, europaweit koordinierte zielgerichtete Forschung, die auch die Kapazität besitzt, in neuen Situationen rasch reagieren zu können. Das Veterinärwesen ist mehr als bisher in die Risikobewertung und wissenschaftlich begründete Empfehlungen zur Strategie der BSE-Erkennung und –bekämpfung einzubeziehen.

Generelles Ziel einer verbesserten Tierseuchenbekämpfung und Lebensmittelüberwachung ist, dem Verbraucher Lebensmittel anbieten zu können, die frei von Krankheitserregern sind. Außerdem sollten die Verbraucher informiert werden, wie sie durch entsprechenden Umgang mit Lebensmitteln die durch Infektionserreger verursachten Restrisiken verringern oder gar verhindern können.

Die Sektion Veterinärmedizin der Akademie Leopoldina befasst sich seit Jahren mit aktuellen Themen der Nahrungsketten, unter anderem mit BSE und weiteren Risiken, die durch Krankheitserreger, Produkte der Gentechnologie und Futterzusatzstoffe (zum Beispiel Antibiotika) entstehen können. Zu dieser Thematik sind bereits Symposiumsberichte publiziert worden (Nova Acta Leopoldina, NF 72, Nr. 248, 1996 und 79, Nr. 309, 1998, J.A. Barth Verlag Heidelberg). Weitere Stellungnahmen werden im Dezember 2000 und Februar 2001 in der Naturwissenschaftlichen Rundschau veröffentlicht.

Zur Akademie Leopoldina:

Die Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina (gegründet 1652 in Schweinfurt) mit Sitz in Halle/Saale (seit 1878) ist eine überregionale Gelehrtengesellschaft mit gemeinnützigen Aufgaben und Zielen. Sie ist die älteste naturwissenschaftliche Akademie in Deutschland. Sie trägt durch die Jahresversammlungen, fachspezifische Meetings und Symposien, monatliche Vortragssitzungen und die vielfältigen persönlichen Kontakte der Mitglieder "zum Wohle des Menschen und der Natur" bei. Ihr gehören derzeit 1000 Mitglieder in aller Welt an. Zwei Drittel der Mitglieder kommen aus den Stammländern Deutschland, Schweiz und Österreich, ein Drittel aus weiteren ca. 30 Ländern. Zu Mitgliedern werden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus naturwissenschaftlichen und medizinischen Disziplinen gewählt, die sich durch bedeutende Leistungen ausgezeichnet haben.

Die Leopoldina wird von einem ehrenamtlichen Präsidium geleitet. Präsident der Leopoldina ist seit 1990 der Biologe Prof. Dr. Benno Parthier (Halle/Saale). Vizepräsidenten sind derzeit der Psychologe Prof. Dr. Paul Baltes (Berlin), der Chemiker Prof. Dr. Gunter Fischer (Halle/Saale), der Virologe Prof. Dr. Volker ter Meulen (Würzburg) und der Chemiker Prof. Dr. Ernst-Ludwig Winnacker (München). Letzterer ist zugleich Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft in Bonn. Die laufenden Geschäfte der Leopoldina führt eine Generalsekretärin, die Neurobiologin Prof. Dr. Jutta Schnitzer-Ungefug.

KONTAKT

Leopoldina

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