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Wahljahr: | 2011 |
Sektion: | Anatomie und Anthropologie |
Stadt: | München |
Land: | Deutschland |
Forschungsschwerpunkte: Integrin‐Aktivierung und ‐Recycling, Integrin-vermittelte Signaltransduktion, Fokale Adhäsion, Mechano‐Sensoring, Maus‐Genetik
Reinhard Fässler beschäftigt sich mit der fundamentalen Rolle so genannter Integrine bei der Zellteilung, Zellwanderung, Blutgerinnung oder Immunabwehr. Fässler ist es bereits gelungen, verschiedene schwere Erkrankungen und Entwicklungsstörungen auf ihre molekularen Ursachen zurückzuführen.
Integrine leisten Schwerstarbeit. Sie sind in der Zelloberfläche verankert und stellen eine Verbindung zwischen der Zelle und ihrer unmittelbaren Umgebung, der extrazellulären Matrix, her. Nur mit Hilfe ihrer Integrine kann sich die jeweilige Zelle auf Wanderschaft begeben, sei es bei der Immunabwehr, Wundheilung, Blutgerinnung oder Embryonalentwicklung. Die Zelle bildet dafür ein „vorderes“ und „hinteres“ Ende aus. Vorne, gewissermaßen am „Bug“, sorgen aktive Integrine dafür, dass die Zelle am jeweiligen Unter¬grund haften bleibt; am hinteren Ende werden die Integrine deaktiviert, was es der Zelle ermöglicht, ihr „Heck“ durch Kontraktion des Zellskeletts nachzuziehen.
Wie diese Aktivierung und Deaktivierung von Integrinen im molekularen Detail vonstattengeht und was die Balance zwischen beiden Zuständen aufrechterhält, sind zentrale Fragen, mit denen sich Reinhard Fässler beschäftigt. Man weiß zwar seit längerem, dass die Moleküle „Talin“ und „Kindlin“ an das Integrin binden müssen. Aber das hat nur die nächste Frage aufgeworfen, wie diese Aktivatoren ihrerseits aktiviert werden.
Dabei werden von Integrinen noch weit kompliziertere Vorgänge angestoßen. Aktivierte Integrine formen sich zu Clustern, die ganze Netzwerke von Proteinen um sich versammeln. Sukzessive wird dadurch eine große Signalschaltstelle mit Hunderten verschiedener Proteine aufgebaut. Darüber können Integrine nicht nur biochemische, sondern auch mechanische Signale sowohl übermitteln als auch empfangen. Biophysikalische Informationen – etwa zur Beschaffenheit des Untergrunds oder der Geschwindigkeit eines fließenden Mediums wie Blut – werden dabei in biochemische Informationen übersetzt.
Integrine müssen externen Kräften widerstehen können, während sie infolge der Aktivierung selbst ihre Form verändern. Damit sind sie einer enormen Belastung ausgesetzt. Alle paar Minuten verlassen sie ihren Außenposten an der Zelloberfläche, um mehrere Stationen im Zellinneren zu durchlaufen, wobei sie einem Qualitätscheck unterzogen werden, wie Fässler nachweisen konnte. Einige Integrine werden aussortiert, vielleicht weil ihre dreidimensionale Struktur gelitten hat. Größtenteils kehren sie aber zum neuerlichen Einsatz an die Zelloberfläche zurück.
Ein Zuviel oder Zuwenig an Aktivität von Integrinen kann verheerende Folgen haben: Adern würden zum Beispiel durch Blutgerinnsel verstopft, wären die Integrine auf den Blutplättchen („Thrombozyten“) ständig aktiv. Beim „Leukozytenadhäsionsmangel“ können Immunzellen („Leukozyten“) nicht mehr aus den Blutgefäßen ins Gewebe wandern. Menschen mit dieser schweren Erbkrankheit fehlt ein Protein, das für die Aktivierung der Integrine erforderlich ist, wie Fässler und sein Team zeigen konnten. Ein großer Erfolg war auch die Identifizierung derjenigen Kindline, deren Verlust zu Haut-, Haarfollikel- und Blutzelldefekten führt. Eingehend beschäftigte sich Fässler mit der Rolle von Integrinen und ihnen assoziierten Proteinen während der Embryonalentwicklung von Mäusen. Damit gingen neue Erkenntnisse zur Migration und Differenzierung von Stammzellen einher.
Fässler nutzt für seine Arbeit ein breites Spektrum teils innovativer Werkzeuge und Methoden – von hochauflösender quantitativer Massenspektrometrie über Ganz-Zell-Proteomik bis zur Kraftspektroskopie an einzelnen Molekülen. Eine Schlüsselrolle spielen transgene Mäuse, bei denen Gene gezielt ausgeschaltet werden, so dass sie keine Integrine mehr bilden können oder deren Funktion gestört ist. Das Ausschalten ein und desselben Gens kann, je nach Gewebetyp, die unterschiedlichsten Defekte hervorrufen. Studien zur Funktion von „Kindlin-1“ in Zellen der Epidermis („Keratinozyten“) zeigten, warum Menschen ohne das Kindlin-1-Gen für Hautkrebs anfällig sind. Mit der Entschlüsselung der fundamentalen Mechanismen, mit denen Integrine ihr komplexes Signal-Netzwerk koordinieren und kontrollieren, verbindet sich die Hoffnung auf neue Behandlungsmöglichkeiten für Krankheiten, denen eine Fehlfunktion von Integrinen zugrunde liegt.
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