Ausgangspunkt ist die Beobachtung, dass wir einen rasanten Wandel dessen erleben, was ich „Neue Gemeinschaften der Wissensproduktion“ nenne. Wissenschaftliche Erkenntnisse, Methoden, Anwendungs- und Vermittlungsformate verlagern sich immer mehr aus akademischen Einrichtungen wie Hochschulen, deren Fakultäten und Forschungsgemeinschaften in disziplinen-, stakeholder- und institutionenübergreifende Entitäten, die sich in Datenräumen, Innovationsräumen, Transformationsräumen und Bildungsräumen sowie den zugehörigen Plattformen manifestieren. Hier spielen akademische Einrichtungen zwar noch eine zentrale, jedoch nicht mehr die alleinig erkenntnisproduzierende Rolle.
In einigen Disziplinen – wie Informatik, KI, Quantencomputing, Life Sciences, Geowissenschaften – ist diese Entwicklung durchdringender als in anderen. In Unternehmen entwickelte KI-Modelle schaffen nicht nur neue Erkenntnisse, sondern revolutionieren auch Forschungs- und Lehrformate. Betreiber klassischer Kommunikationsplattformen wie Alphabet, Meta oder Apple entwickeln sich mit großer Geschwindigkeit beispielsweise zu Produzenten von Gesundheitsdaten, die die medizinische Forschung, klinische Studien und die Gesundheitsversorgung bereichern und verändern. Aber auch bei großen, die Disziplinen übergreifenden Forschungs- und Transformationsfragen wandelt sich die Wissenschaft in der Kooperation mit Stakeholdergruppen, in denen Bürgerinnen und Bürger, Zivilgesellschaft und Unternehmen sowohl ihre Methoden, Erkenntnisse und Daten als auch ihre Community zur Verfügung stellen. All dies ist nicht nur Resultat technologischer Entwicklungen, sondern ebenso der zunehmenden Differenzierung unserer Wissenschaftsgesellschaft.
Was heißt das für die wissenschaftliche Politikberatung? Ich bin überzeugt, dass es nicht länger ausreicht, Forschende aus akademischen Institutionen zusammenzurufen, um den Stand der Forschung in Empfehlungspapiere für die Politik zu überführen. Stattdessen müssen viele Wissensträgerinnen und -träger sowie Wissensproduzenten und -produzentinnen in Prozesse der wissenschaftlichen Politikberatung eingebunden werden. Zumal dann, wenn in Beratungen neben Erkenntnis und wissensbasierten Fragen auch Werteabwägungen und ethische Aspekte einfließen sollen.
Solche Prozesse zu organisieren, ist allerdings eine echte Herausforderung, für die wir noch nicht durchweg gute Lösungen gefunden haben. Der von Leopoldina, VolkswagenStiftung, Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) sowie Stifterverband jährlich organisierte Gipfel für Forschung und Innovation ist ein Ansatz, Wissensträgerinnen und -träger aus Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft im Dialog mit der Politik zusammenzuführen. Wir brauchen aber auf vielen Ebenen ähnliche Ansätze.
Ein solcher Ansatz könnten Science Policy Hubs sein, die als agile Einheiten zur Ko-Produktion von Wissen, Strategien und Maßnahmen eingerichtet werden. Idealerweise ergänzt und verknüpft mit einer Crowdsourcing-Plattform, die der öffentlichen Verwaltung und der Fachpolitik einen zentralen und schnellen Zugang zu Forschenden und zur Expertise von Wissensträgerinnen und -trägern ermöglicht, um Erkenntnisse und Lösungsoptionen zur Bewältigung spezifischer Problemstellungen zusammenzutragen. Dies könnte die klassische Politikberatung der Akademien nicht nur erweitern und ergänzen, sondern auch von diesen organisiert werden.
Volker Meyer-Guckel ist seit 2022 Generalsekretär des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft. Nach der Promotion 1992 war er für die Studienstiftung des deutschen Volkes und im Planungsstab des Bundespräsidenten tätig, ehe er 1999 in den Stifterverband eintrat.