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Akademiegeschichte

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Am 1. Januar 1652 gründen die vier Ärzte Johann Lorenz Bausch, Johann Michael Fehr, Georg Balthasar Metzger und Georg Balthasar Wohlfahrth in der Freien Reichsstadt Schweinfurt die Academia Naturae Curiosorum, die heute älteste, ununterbrochen existierende naturwissenschaftlich-medizinische Akademie der Welt. Gemeinsam mit führenden Gelehrten ihrer Zeit, die sie zur Mitarbeit einladen, wollen sie „Die Natur […] erforschen zur Ehre Gottes und zum Wohle der Menschen“. Wahlspruch für dieses ambitionierte Ziel wird „Nunquam otiosus“ („Niemals müßig“).

„Niemals müßig“ - Die Gründung der Leopoldina

Der Stadtphysicus Johann Laurentius Bausch (1605–1665) wird der erste Präsident der Akademie. Im Laufe der folgenden Jahre werden Mitglieder aus anderen Städten Deutschlands zugewählt. Es zeigt sich, dass für die Erarbeitung einer geplanten Enzyklopädie zunächst eine Sammlung von bereits vorliegenden Erkenntnissen und ihre Diskussion notwendig sind. Dazu wird auf Initiative von Sachs von Lewenhaimb, Arzt in Breslau, eine Zeitschrift ins Leben gerufen, die als Miscellanea Curiosa Medico-physica Academiae Naturae Curiosorum ab 1670 noch heute erscheint. Sie ist damit die erste naturwissenschaftlich-medizinische Zeitschrift der Welt.

Schon bald nach ihrer Gründung bemüht sich die Akademie um öffentliche Anerkennung und wird im August 1677 von Kaiser Leopold I. offiziell bestätigt. Zehn Jahre später stattet Kaiser Leopold I. sie mit besonderen Privilegien aus. Damit wird ihre Unabhängigkeit von den herrschenden Dynastien in den einzelnen Ländern und die völlige Zensurfreiheit für ihre Veröffentlichungen garantiert. Seitdem trägt sie den Namen Sacri Romani Imperii Academia Caesareo-Leopoldina Naturae Curiosorum, kurz: Leopoldina. Die nachfolgenden Kaiser Karl VI. und Karl VII. bestätigen und erweitern ihre Privilegien.

Die Wanderjahre der Akademie

Mit dem Übergang des Präsidentenamtes von Johann Michael Fehr (II. Präsident, 1666–1686) auf Johann Georg von Volckamer (III., 1686–1693) verlässt die Leopoldina im selben Jahr Schweinfurt und bezieht ihren neuen Sitz in der Freien Reichsstadt Nürnberg. Dort wird 1731 eine eigene Bibliothek mit Naturaliensammlung eröffnet. Die folgenden zwei Jahrhunderte zieht sie wiederholt um, da der Wohnort des jeweiligen Präsidenten laut Statuten zugleich Hauptsitz der Akademie ist. Zwischen 1686 und 1878 wechselt die Leopoldina fünfzehn Mal ihre Wirkungsstätte.

Diese „Wanderjahre“ werden von den politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen des 18. und 19. Jahrhunderts markiert: Hatte die Akademie Schweinfurt 1686 nach dem 30-jährigen Krieg verlassen, erreicht sie die Stadt Halle 1878 in der Zeit der Hochindustrialisierung. Persönlichkeiten, die sich nicht nur durch wissenschaftliche, sondern auch durch organisatorische und bisweilen diplomatische Exzellenz auszeichnen, prägen zunehmend die Akademie und ihren Ruf. Als besonders tatkräftige Präsidenten jener Zeit gelten Lucas von Schroeck (IV., 1693–1730), Andreas Elias von Büchner (VI., 1735–1769) und Christian Gottfried Daniel Nees von Esenbeck (XI., 1818–1858).

Besonders im 18. Jahrhundert öffnet sich die Leopoldina auch Mitgliedern von außerhalb der Wissenschaft. So werden Minister, Beamte, Kleriker  als Mäzene oder Fürsprecher in die Akademie aufgenommen. Im Revolutionsjahr 1789 wird die erste Frau, Fürstin Katharina Romanowna von Daschkova, Mitglied. In den fünf Jahrzehnten zwischen 1769 und 1818 wählt die Leopoldina im Durchschnitt sieben neue Mitglieder pro Jahr. Dagegen nimmt sie allein 1818, im ersten Amtsjahr des Präsidenten Nees von Esenbeck, 54, vor allem jüngere, Wissenschaftler auf.

Die Wirkungsstätten der Leopoldina zwischen 1652 und 1878

1652-1686 Schweinfurt1788-1818 Erlangen
1686-1693 Nürnberg1819-1830 Bonn
1693-1730 Augsburg1830-1858 Breslau
1730-1735 Altdorf1858-1862 Jena
1735-1745 Erfurt1862-1878 Dresden
1745-1769 Halleseit 1878 Halle (Saale)
1770-1788 Nürnberg 

Die Leopoldina wird in Halle sesshaft

1878 siedelt sich die Leopoldina mit ihrem Präsidenten Carl Hermann Knoblauch (XV., 1878-1895) in der preußischen Universitätsstadt Halle an der Saale an. Hier wird die Akademie sesshaft. Sie konzentriert sich auf die Herausgabe wertvoller Veröffentlichungen und macht ihre Bücherschätze nutzbar.

1879 zieht auch die Akademiebibliothek von Dresden nach Halle um und erhält 1904 ein modernes und für ihre Zeit vorbildlich zweckmäßiges Bibliotheksgebäude.

In der Amtszeit des Mathematikers Albert Wangerin (XVII., 1906-1921) genießt die Leopoldina ein hohes Ansehen. Sie erhält Einladungen zu internationalen Ereignissen, unter anderem 1907 zur Linné-Feier in Uppsala und Stockholm sowie 1909 zur Darwin-Feier in Cambridge.

1921 wird der hallesche Mathematiker August Gutzmer ihr Präsident (XVIII., 1921-1924) und führt sie durch die schwierigen Zeiten der Inflation.

Besonders im 18. Jahrhundert öffnet sich die Leopoldina auch Mitgliedern von außerhalb der Wissenschaft. So werden Minister, Beamte, Kleriker  als Mäzene oder Fürsprecher in die Akademie aufgenommen. Im Revolutionsjahr 1789 wird die erste Frau, Fürstin Katharina Romanowna von Daschkova, Mitglied. In den fünf Jahrzehnten zwischen 1769 und 1818 wählt die Leopoldina im Durchschnitt sieben neue Mitglieder pro Jahr. Dagegen nimmt sie allein 1818, im ersten Amtsjahr des Präsidenten Nees von Esenbeck, 54, vor allem jüngere, Wissenschaftler auf.

Zeit des Nationalsozialismus

Die Zeit des Nationalsozialismus hinterlässt auch in der Akademie Spuren. Sowohl Mitglieder als auch die Leitung der Akademie haben sich dem NS-Regime gebeugt. Mit der Errichtung der nationalsozialistischen Diktatur 1933 bekommt die Politik zunehmend Einfluss auf die Leopoldina. Das Verhältnis des damaligen Präsidenten Emil Abderhalden (XX. Präsident, 1932-1950) zu den NS-Machthabern ist zeitweise widersprüchlich und nicht frei von vorauseilendem Gehorsam.

Bei der Aufnahme neuer Mitglieder versucht die Akademie zunächst, weiterhin die wissenschaftliche Leistung zugrunde zu legen. Mitgliedervorschläge müssen jedoch den faschistischen Machthabern vorgelegt werden, sie werden dort nach der politischen Einstellung zum „Neuen Deutschland“ beurteilt. Tiefpunkt in der Geschichte der vormals unabhängigen Akademie ist die Streichung vieler jüdischer Akademiemitglieder aus der Mitgliederliste, veranlasst durch Präsident Abderhalden. Die Streichungen erfolgen mit Bleistift und werden nach Ende des Zweiten Weltkriegs wieder rückgängig gemacht.

Ab Beginn des Zweiten Weltkriegs spiegelt sich in der Akademie die wachsende Isolation der deutschen Wissenschaftler von der internationalen Gemeinschaft wider. Nach Kriegsende im April 1945 ziehen zunächst amerikanische Truppen in Halle (Saale) ein. Da die Siegermächte die Besatzungszonen neu ordnen und Halle damit in der sowjetischen Zone liegt, lässt die amerikanische Militärverwaltung viele Wissenschaftler aus der Universität, darunter auch einige Leopoldina-Mitglieder, zuvor in ihre Besatzungszone abtransportieren.

Dazu gehört auch Abderhalden, der anschließend in die Schweiz zurückgeht und bis zu seinem Tod 1950 formal Leopoldina-Präsident bleibt. Vor Ort in Halle (Saale) trägt Vizepräsident Otto Schlüter (XXI., 1952–1953) die Verantwortung. Die ausgelagerten Archiv- und Bibliotheksbestände werden von der neuen Besatzungsmacht in die Sowjetunion gebracht. Das Verbot sämtlicher Vereine schränkt die Wirkungsmöglichkeiten der Akademie stark ein und führt dazu, dass keine Mitglieder mehr gewählt werden können.

Stele zum Gedenken an NS-Opfer

Auf Initiative des Präsidiums der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina erinnert im Park des Akademiegebäudes in Halle (Saale) eine Gedenkstele an die während des nationalsozialistischen Regimes in Konzentrationslagern getöteten Akademie-Mitglieder. Die vom halleschen Bildhauer Bernd Göbel gestaltete Stele trägt die Namen der neun Wissenschaftler, die in den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten ermordet wurden oder an den unmenschlichen und grausamen Bedingungen der Lagerhaft starben. Acht der Opfer stammen aus jüdischen Familien. Die Stele entstand mit finanzieller Unterstützung des Freundeskreises der Leopoldina.

Auf der Gedenkstele sind die Namen der Opfer, ihre Profession, ihr Geburts- und Todesjahr verewigt:

  • Otto Blumenthal (1876-1944), Mathematiker
  • Maximilian Flesch (1852-1943), Anatom
  • Hans Meyer (1871-1942), Chemiker
  • Georg Pick (1859-1942), Mathematiker
  • Hans Przibram (1874-1944), Zoologe
  • Peter Rona (1871-1945), Biochemiker
  • Emil Starkenstein (1884-1942), Pharmakologe
  • Leon Wachholz (1867-1942), Gerichtsmediziner
  • Arthur von Weinberg (1860-1943), Chemiker
Nova Acta Leopoldina „Gedenken an die Leopoldina-Mitglieder, die in Konzentrationslagern des nationalsozialistischen Regimes zu Tode kamen” (2010) ▸

Streben nach Eigenständigkeit

Otto Schlüter (XXI., 1952-1953) gelingt es, die Unabhängigkeit der Leopoldina als übernationale Wissenschaftlergemeinschaft zu bewahren. Er kann die drohende Eingliederung in andere Einrichtungen verhindern, zum Beispiel in den 1945 gegründeten Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands oder in die Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Aus Anlass des 300-jährigen Bestehens der Leopoldina 1952 erkennt die DDR-Regierung ihre Eigenständigkeit schließlich an und unterstützt die Feierlichkeiten. Die Akademie erhält eine Finanzierung und kann ihre Arbeit fortsetzen.

1954 übernimmt der Hallenser Pflanzenbiochemiker und Pharmazeut Kurt Mothes (XXII., 1954-1974) das Präsidentenamt. 1955 führt die Akademie Jahresversammlungen zu interdisziplinär interessanten Fragestellungen ein, die alle Sektionen und Mitglieder der Akademie beteiligen. Sie sollen abwechselnd in Halle und Schweinfurt stattfinden. Doch nur ein einziges Mal, im Jahr 1957, kommen die Mitglieder tatsächlich in Schweinfurt zusammen. Nach dem Mauerbau 1961 liegt der Gründungsort der Akademie hinter dem „Eisernen Vorhang“ und wird angesichts der Reisebeschränkungen für ostdeutsche Wissenschaftler unerreichbar.

Dennoch bieten die Leopoldina-Veranstaltungen den DDR-Wissenschaftlern Gelegenheiten, den Kontakt zur internationalen Spitzenforschung zu wahren. Präsident Mothes nutzt das Podium der Jahresversammlungen, um universitäre und forschungspolitische Entwicklungen in Ost und West kritisch zu analysieren. In politisch brisanten Situationen im Umgang mit der Partei- und Staatsführung in der DDR droht Mothes mit der Verlagerung des Akademiesitzes in den Westteil Deutschlands.
 
Heinz Bethge (XXIII., 1974-1990) setzt den unabhängigen Kurs seines Vorgängers bis zum Ende der DDR fort. Auch er nutzt die Möglichkeiten eines Leopoldina-Präsidenten, um Freiräume auszuloten. Damit wird die Leopoldina nach der deutschen Wiedervereinigung 1990 als kompetenter Partner für die Neuformierung des ostdeutschen Wissenschaftssystems in einer gesamtdeutschen Lehr- und Forschungslandschaft anerkannt. Die Akademie behält ihre Eigenständigkeit und Unabhängigkeit und erhält im Jahr 1991 die Rechtsform eines eingetragenen Vereins.

Der Weg zur Nationalakademie

Am 1. Juli 1990, dem Tag der Währungsumstellung in der alten DDR, tritt Benno Parthier sein Amt als XXIV. Leopoldina-Präsident an. Nach der Wiedervereinigung gelingt es ihm, die Struktur und Arbeitsweise der Leopoldina den Erfordernissen der Wissenschaft anzupassen und die Leopoldina in dem nunmehr gesamtdeutschen Wissenschaftssystem auf eine völlig neue Aufgabe auszurichten.

Dazu gehört die Neuordnung der Sektionen und des Senates, die Änderung der Wahlordnung, die zu einer Verjüngung der Mitgliedschaft führt, und die interdisziplinäre Abrundung des auch weiterhin vornehmlich auf Naturwissenschaften und Medizin konzentrierten Fächerspektrums der Akademie.

Im Februar 2003 übernimmt mit Volker ter Meulen (XXV.) aus Würzburg erstmals seit 1878 eine auswärtige Forscherpersönlichkeit die Leitung der Akademie. Unter seiner Präsidentschaft erfolgt eine intensive Zusammenarbeit und Mitwirkung in internationalen Gremien.

Diese internationalen Aktivitäten der Leopoldina veranlassen die ehemalige Bundesministerin für Bildung und Forschung  Annette Schavan, der gemeinsamen Wissenschaftskonferenz von Bund und Ländern vorzuschlagen, die Leopoldina zur ersten Nationalen Akademie der Wissenschaften Deutschlands zu ernennen. Der entsprechende Beschluss erfolgt im Februar 2008 und wird in einem Festakt im Juli 2008 feierlich vollzogen. Der Bundespräsident übernimmt die Schirmherrschaft der Nationalen Akademie der Wissenschaften.

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