Herr Prof. Guthoff, warum fordern Sie eine neue Ausrichtung?
Rudolf Guthoff: Im Moment steht die Prävention im Mittelpunkt. Das wollen wir auch nicht kritisieren, denn große Impf- und Prophylaxe-Programme haben viel geleistet: Tuberkulose, Malaria und die sogenannte Flussblindheit gehen zurück, das sind große Erfolge. Es gibt allerdings Erkrankungen, die kann man nicht prophylaktisch verhindern. Deshalb fordern wir eine Balance von Prävention und kurativen Behandlungen.
Der „Global Clinical Care“-Ansatz soll wiederhergestellt werden …
Guthoff: Ja, das ist der Begriff für diesen integrativen Ansatz. Den möchten wir neu beleben, auch weil sich in der Gesundheitspolitik das Vorurteil entwickelt hat, dass für jede Erkrankung die Prävention günstiger sei als die kurative Behandlung. Das ist aber nicht so. Es gibt 1,5 Millionen Kinder auf der Welt, die bereits erblindet sind. Ein Drittel von ihnen kann man heilen und wir sagen, auch diesen Kindern muss man helfen. Und man kann ihnen mit relativ günstigen Mitteln helfen.
Ihr Beispiel ist die Kinderblindheit in Afrika. Im Papier geht es auch um Modellrechnungen und die zukünftige Produktivität der Kinder. Muss sich der Einsatz rechnen?
Guthoff: Die Behandlung von Kinderblindheit, ist für ein Staatswesen eine sinnvolle Sache. Denn es ist einfacher und verursacht weniger Kosten, ein Kind in die Schule zu schicken und dafür zu sorgen, dass es sich später selbst ernähren kann, als es ein Leben lang zu versorgen. Und man weiß auch, dass blinde Kinder früh sterben, sie werden häufig vernachlässigt. Sodass wir nicht nur Blindheit behandeln, sondern auch Leben verlängern.
Kann man nicht einfach aus altruistischen Motiven helfen?
Guthoff: Wir werden die Kinderblindheit in Afrika nicht mit Hilfsgedanken beseitigen. Auch andere Krankheiten nicht, wie koronare Herzkrankheiten. Sie müssen vor Ort Strukturen schaffen, damit sich die Menschen selbst helfen können. Wir müssen die Kollegen an die Techniken heranführen, sie einbinden in ein wissenschaftlich orientiertes Gesundheitssystem. Ohne dass wir uns über die Finanzierbarkeit Gedanken machen, lässt sich das nicht umsetzen. Auch Medizinfirmen stellen dort nur Geräte hin, wenn es sich rechnet. Es ist leider so.
Welche Strukturen braucht es konkret?
Guthoff: Zentral sind institutionalisierte Partnerschaften zwischen Universitäten oder Kliniken. In der Augenheilkunde gibt es zum Beispiel welche zwischen Rostock und Kinshasa (DRC), Tübingen und Malawi und zwischen Homburg und Mengo in Uganda. Diese bauen auf persönlichen Kontakten auf, die gepflegt werden. Dadurch entstehen Strukturen, die ins örtliche Gesundheitssystem integriert werden können. Wichtig ist: Wir sind nicht die Wohltäter, wir sind Partner und identifizieren gemeinsam wissenschaftliche Fragestellungen. Es ist ein Geben und Nehmen. Diese Partnerschaften muss man aber wollen. Und das ist eine weitere Forderung: Es sollte auf politischer Ebene, in der Entwicklungszusammenarbeit, dafür gesorgt werden, dass man diese Strukturen mittel- und langfristig vorhält.
Warum ist der „Global Clinical Care“-Ansatz aus Ihrer Sicht so wichtig?
Guthoff: Wir glauben, dass wir mit der kurativen Medizin auch außenpolitisch etwas Sichtbares schaffen können. Diese Partnerschaften sind für die Entwicklung eines Landes wichtig und sollten auch für unsere Außenpolitik wichtig sein, weil dadurch das Ansehen unseres Landes gesteigert wird. Wenn Kinder wieder sehend nach Hause kommen, und das von Deutschland initiiert wurde, das ist doch etwas.
Das Gespräch führte Christine Werner.