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Foto: Hans-Jürgen Wede
Wahljahr: | 2023 |
Sektion: | Wissenschafts- und Medizingeschichte |
Stadt: | Lübeck |
Land: | Deutschland |
Forschungsschwerpunkte: Wissenschaftsgeschichte und Historische Epistemologie, Geschichte der Humanwissenschaften, Medizingeschichte und Medizinphilosophie, Geschichte der Psychiatrie und Hirnforschung, Visualisierungen in den Lebenswissenschaften
Cornelius Borck ist ein deutscher Wissenschaftshistoriker und Medizinphilosoph. Was ihn interessiert, sind die vielfältigen Wechselwirkungen zwischen Forschung, Medizin und Gesellschaft: Wie haben sich Vorstellungen von körperlichen Funktionen und geistigen Fähigkeiten im Laufe der Geschichte entwickelt? Welche Rolle haben Techniken und Instrumente dabei gespielt? Und wie wirken Forschungsergebnisse zurück auf die Gesellschaft und das menschliche Selbstverständnis? Die Antworten auf solche Fragen sind aus seiner Sicht auch für die medizinischen und wissenschaftlichen Fortschritte der Zukunft relevant.
Als Historiker hat sich Cornelius Borck unter anderem mit der Geschichte der Psychiatrie beschäftigt. Wie in keinem anderen Bereich der Medizin sieht er dort enge Wechselwirkungen zu gesellschaftlichen Vorstellungen von Normalität. Menschen, die psychisch krank oder „anders“ waren, wurden lange stigmatisiert. Ein Team unter seiner Leitung hat Gewalt und Unrecht in psychiatrischen Einrichtungen in Schleswig-Holstein von der Nachkriegszeit bis zur Wiedervereinigung aufgearbeitet.
Ein weiteres Forschungsgebiet von Cornelius Borck ist die Hirnforschung. Hier interessiert ihn besonders, welche Rolle visuelle Darstellungen spielen. Diese helfen nicht nur, die komplexen Vorgänge im menschlichen Gehirn zu erfassen und zu veranschaulichen, sondern sie beeinflussen deren Deutung. So war es in den 1930er Jahren erstmals möglich, mit Hilfe der sogenannten Elektroenzephalographie (EEG) die elektrischen Aktivitäten des Gehirns aufzuzeichnen. Damit wurde das Denken zu einem sichtbaren Prozess, der sich auf Papier abbilden ließ. Die aufgezeichneten Kurven ließen das Gehirn als eine Art intelligente Codiermaschine erscheinen und ebneten den Weg für Kybernetik und Computer.
Entgegengesetzte Erwartungen beobachtet Cornelius Borck heute. Mit modernen Bildgebungsverfahren lässt sich inzwischen mit ungeahnter Genauigkeit feststellen, welche Zonen im Gehirn in welchen Situationen aktiv sind. Daraus wird heute jedoch allzu leicht der Schluss gezogen, dass Gedanken, Gefühle und Handlungen allein von den dort aufscheinenden körperlichen Prozessen ausgelöst würden. Wenn heute behauptet wird, die Freiheit des menschlichen Denkens und Handelns sei daher eine Illusion, spiegeln sich darin eher die Grenzen der Visualisierungsmethode als bahnbrechende neue Einsichten.
Um dieses Wechselspiel von gesellschaftlichen Fragen, wissenschaftlichen Vorstellungen und technischen Voraussetzungen besser zu beschreiben, setzt Cornelius Borck auf die Historische Epistemologie: Wie konnte unsere Gesellschaft dazu kommen, eine neurophysiologische Theorie des Denkens als mögliches Forschungsprogramm anzuerkennen, obwohl jede neue naturwissenschaftliche Erkenntnis über Vorgänge im Gehirn vor allem die Fragen immer komplexer werden lässt? Hier sieht Borck eine wichtige Rolle von Wissenschaftsgeschichte und Wissenschaftsforschung in der Gesellschaft: Kurzfristige Anpassungen der Grundwerte und Leitvorstellungen an einen Stand der Forschung sind angesichts der dynamischen Entwicklung von Wissenschaft und Technik kritisch zu sehen.
Als Philosoph befasst sich Cornelius Borck zudem mit den Fortschritten der Biomedizin. Hier haben die zahlreichen neuen Erkenntnisse zu besonders strengen Prüfverfahren und neuen Leitlinien für Behandlungsregimes geführt. Das betrifft nicht nur das Verhältnis zwischen medizinischer Wissenschaft und Gesellschaft insgesamt, sondern wirkt sich unmittelbar auch auf den individuellen Umgang mit Krankheit aus. Die moderne Medizin ist unvergleichlich wirksamer als ihre Vorläufer, aber gerade dadurch wirft sie neue ethische, theoretische und existenzielle Fragen auf. Mit Medizinphilosophie und Wissenschaftsgeschichte möchte Cornelius Borck die Verständigung der Gesellschaft über Potenziale und Grenzen des Fortschritts befördern.
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