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Foto: Universitätsklinikum Tübingen
Wahljahr: | 2011 |
Sektion: | Wissenschaftsphilosophie |
Stadt: | Tübingen |
Land: | Deutschland |
Forschungsschwerpunkte: Ärztliche Ethik, historisches Selbstverständnis der Medizin, ethische Implikationen von Reproduktionsmedizin und genetischer Diagnostik, Medizin und postmoderne Philosophie, Medizin und Zeit
Urban Wiesing ist ein deutscher Medizinethiker und -historiker. Aufgrund seiner Ausbildung sowohl als Arzt als auch als Philosoph hat seine Stimme in öffentlichen Diskussionen über ethische Fragen der Medizin besonderes Gewicht. In nationalen und internationalen Gremien setzt er sich aktiv für die Wahrung ethischer Grundsätze in der Medizin und ihren Grenzgebieten ein.
Maßgeblich war Urban Wiesing daran beteiligt, dass sich die Medizinethik in Deutschland als eigenständiges Fach etablieren konnte. Der Lehrstuhl für Ethik der Medizin an der Eberhard Karls Universität Tübingen, auf den er 1998 berufen wurde, war der erste Lehrstuhl dieser Art in Deutschland. Bis heute verdeutlicht seine Forschung, wie weit der thematische Bogen in diesem Fachgebiet gespannt ist.
So beschäftigt sich Urban Wiesing mit Fragen ärztlichen Handelns und ärztlicher Tugend, mit der Definition von Krankheit, dem historischen Selbstverständnis der Medizin und dem Verhältnis der Medizin zur postmodernen Philosophie. All diese Schwerpunkte führt er zu einer allgemeinen Wissenschaftstheorie der Medizin zusammen.
Auf dieser Basis beleuchtet er zudem konkret verschiedenste ethische Fragen, die in den letzten Jahrzehnten in öffentliche Diskussionen eingegangen sind. Diese Fragen reichen von ästhetischer Chirurgie über Doping und Transplantation bis hin zu der Überlegung, welche Konsequenzen Gentests für die Arbeitswelt oder für das Abschließen von Versicherungen haben können. Ebenso hat Wiesing zu ethischen Aspekten der In-vitro-Fertilisation, der Forschung an embryonalen Stammzellen sowie der Präimplantationsdiagnostik Position bezogen.
Bei all diesen Themen vertritt er eine pragmatische Grundhaltung und eine liberale Herangehensweise. Für ihn ist klar, dass in einem säkularen Staat unterschiedliche Wertehorizonte nebeneinander existieren. Argumente einzelner Wertegemeinschaften können darum nicht mehr für alle Mitglieder der pluralen Gesellschaft verbindlich sein. Vor diesem Hintergrund plädiert Urban Wiesing zum Beispiel dafür, eine Forschung an embryonalen Stammzellen zu erlauben, ihr zugleich aber auch enge Grenzen zu setzen.
In der politischen Diskussion um die Sterbehilfe legte er zusammen mit drei anderen Hochschullehrern aus den Bereichen Recht, Ethik und Palliativmedizin im Jahr 2014 einen eigenen Gesetzesvorschlag vor. Nach dem Muster einiger US-Bundesstaaten sollte die Beihilfe zur Selbsttötung unter Strafe gestellt werden, allerdings mit der Ausnahme: Angehörigen oder nahestehenden Personen sowie Ärztinnen und Ärzten sollte es unter strengen Auflagen erlaubt sein, bei unheilbar Erkrankten mit begrenzter Lebenserwartung Beihilfe zum Suizid zu leisten. Auch hier beruft sich der Experte darauf, dass Menschen die Frage, worin ein „würdevolles Sterben“ besteht, heute auf sehr unterschiedliche Weise beantworten. Einem zur Neutralität verpflichteten Staat stehe es nicht zu, die Lebens- und Sterbeentwürfe seiner Bürgerinnen und Bürger zu bewerten.
In der Debatte um das Abrechnungssystem mittels Fallpauschalen nimmt Urban Wiesing eine kritische Stellung ein. Diese bezieht sich vor allem auf die Entwicklung, dass Krankenhäuser unter Umständen aus wirtschaftlicher Sicht möglichst viele Eingriffe durchführen, auch wenn diese medizinisch gesehen nicht unbedingt nötig wären.
Weitere ethische Herausforderungen entstehen in medizinischen Ausnahmesituationen. So hat Urban Wiesings Team untersucht, wie das Auftauchen von AIDS, die Entwicklung von Antibiotika-Resistenzen oder die Ebola-Epidemie in den Jahren 2013 bis 2016 in Westafrika zur Bedrohung für medizinische Strukturen wurden. Zudem sind die ethischen Leitlinien der Katastrophenmedizin ein wichtiges Forschungsthema.
Aktuell befasst sich Urban Wiesing mit Entwicklungen wie den Symptom Checker Apps, die Menschen nutzen, um mittels künstlicher Intelligenz ihre Gesundheitsprobleme sowie Tipps zum weiteren Vorgehen zu erfragen. Er hat ein Buch zu den Heilsversprechen der Wissenschaft publiziert sowie eines zur Kunst der Prävention.
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